Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
drei Kinder; er war vielleicht der einzige Freund, den ich je hatte. Ich ertappte sie eines Tages in einem Klassenzimmer. Sie dachten, es wäre abgeschlossen. Das Weib lachte sogar noch. Erland war ganz ernst. Ich sagte, ich hätte nichts gesehen. Er glaubte mir nicht. Zwei Wochen später, einen Tag nach Schuljahresende, warf er sich vor einen Zug. In seinem Abschiedsbrief stand, er habe die Schande nicht mehr ertragen können, fremdgegangen zu sein. Ich rief Inger an und erzählte es ihr. Sie lachte sogar noch. Deshalb …«
Er sog das Aroma des Rotweines ein. Seine Züge wurden entspannt und friedvoll. Dann fuhr er fort: »… begann ich, sie zu hassen. Sie ist der einzige Mensch, den ich je gehaßt habe. Ich halte sie für gefährlich.«
»Erzähl weiter.«
»Die Zeit verging. Ich verlor sie aus den Augen. Ließ mich pensionieren und gewöhnte mich an das angenehme Leben. Vor einem halben Jahr sah ich sie wieder. In der Gesellschaft eines Mannes, den ich wiedererkannte. Ein widerlicher Typ. Ich wußte, daß er verheiratet war und Kinder hatte. Es war nicht schwer, ihre Telefonnummer herauszubekommen und anzurufen. Ich sagte, sie solle ihn in Frieden lassen. Sie lachte nur. Da rief ich seine Frau an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Eine Woche später rief sie mich an und drohte, ich solle mich in acht nehmen. Diesmal lachte ich.«
»Inwiefern war er widerlich?«
»Weißt du, vormittags interessiere ich mich durchaus dafür, was in der Welt vor sich geht. Besonders verfolge ich die Lebenswege meiner ehemaligen Schüler. Ich lese viel in der Zeitung und schnappe so manches auf. Die Braunen waren schon ein seltsames Pack.«
»Die Braunen? Meinst du die Nazis?«
»Dreizehn Uhr und neunundfünfzig Minuten. Natürlich meine ich die Nazis. Schreckliche Leute.«
Er erhob sich, ging zum Video hinüber, schob den ersten Film ein und schaltete den Fernsehapparat zu. Mit Blick auf den Sekundenzeiger der Uhr ließ er sich wieder in den Sessel fallen und legte den Daumen auf die Starttaste der Fernbedienung.
»Du meinst, er war ein Nazi?«
»Ich denke ja.«
»Wie heißt er?«
»Urban Schajk. In Religion war er schlecht, und von Geographie hatte er nicht die blasseste Ahnung.«
»Weißt du, wo er sich aufhält?«
»Vierzehn Uhr!«
Er drückte auf den Knopf. Die Lautstärke war voll aufgedreht und füllte den Raum. Ich war nicht länger existent. Von nun an widmete er sich voll und ganz dem Geschehen auf der Mattscheibe. Er nahm einen großen Schluck Wein und kaute die ersten Käsewürfel. Als ich ging, zeigte er nicht die geringste Reaktion. ›Der schreiende Totenschädel‹ beanspruchte ihn voll und ganz. Man konnte regelrecht neidisch werden.
Ohne Eile machte ich mich auf den Weg zurück in die Stadt. Der Name Urban Schajk sagte mir nichts. Und an einen so ungewöhnlichen Namen hätte ich mich auf alle Fälle erinnert.
Jedenfalls hatten wir einen Namen. Eine neue Spur, der wir folgen konnten. Vielleicht verlief sie im Sande. Möglicherweise aber kreuzte sie sich mit einer anderen. Eines ergibt das andere. Der Haß eines pensionierten Lehrers auf das Mädchen, das in gewisser Weise seinen einzigen Freund auf dem Gewissen hat, konnte uns neue Anhaltspunkte liefern. Urban Schajk, Neonazi, Bekannter der Mata Hari, was tat er, in welcher Organisation war er, welchen Umgang pflegte er und so weiter und so weiter.
Auf dem Rückweg kehrte ich in ein trostloses Café ein und trank einen Tee. Pünktlich um drei saß ich dann im Beratungsraum. Simon und Nord hatten ungefähr zwanzig Polizisten aus beiden Abteilungen zusammengerufen, darunter fünf Frauen. An einem Tisch auf dem Podium saß eine ungefähr fünfunddreißigjährige Frau.
Trotz ihres blonden Haares wirkte sie aufgrund ihrer schweren, wie gemeißelten Züge wie eine Italienerin. Sie strahlte Ruhe, Kraft und Entschlossenheit aus. Ihr Kleid war sehr dezent und sicher teuer gewesen.
»Ich darf euch Frau Lillemor Wester vorstellen«, ergriff Simon das Wort. »Wester ist ihr Mädchenname. Sie hat sich an Kommissar Nord gewandt und angeboten, uns einiges mitzuteilen, was allerdings unter uns bleiben muß. Wir dürfen ihre Informationen für unsere Arbeit nutzen, aber so, daß Frau Wester nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden kann. Haben das alle verstanden?«
Er schaute uns ernst an. Das war sicher ein wenig übertrieben, aber es geschah wohl, um Frau Wester zu überzeugen.
»Also absolutes Stillschweigen. Ich bitte euch.«
Sie fuhr sich mit der Hand
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