Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
es gibt Wirkungen. Ich habe immer sparsam gelebt und lieber alles in die Altersvorsorge gesteckt. Mit sechzig war ich pensionsberechtigt, und ich habe keinen Tag länger gearbeitet. Es hat mich allerdings auch keiner darum gebeten. Das war vor sieben Jahren. Ich wußte genau, was ich wollte.«
Er nahm sich ein Stück Käse, roch mit geschlossenen Augen genießerisch daran, und legte es dann auf das Tablett zurück.
»Was wolltest du denn?«
»Damals begann das gerade mit dem Video, und ich erkannte, welche Möglichkeiten sich dadurch boten. Ich beschloß, meinen Tag in eine notwendige aktive und eine angenehme passive Hälfte zu teilen. Morgens stehe ich um sechs Uhr auf, kleide mich an, esse ein einfaches Frühstück und fahre dann in die Stadt. Ich spaziere umher, besuche die Stadtbibliothek, lese die Östersundsposten, für die ich immer noch ein gewisses Faible habe, und manchmal treffe ich einen Bekannten, mit dem ich einen Kaffee trinken kann. Dann esse ich irgendwo zu Mittag und begebe mich zu meinem Videohändler.«
»Das klingt allerdings so, als hättest du feste Gewohnheiten.«
»O ja. Er gewährt mir einen Sonderrabatt, weil ich sein bester Kunde bin. Jeden Tag bekomme ich fünf neue Filme und liefere die alten ab. Er hat auch sonntags geöffnet. Ungefähr um eins bin ich wieder zu Hause. Ich stelle mir dann Wein und Käse zurecht, und Punkt zwei Uhr flimmert der erste Film über den Schirm.«
Ich erhob mich und besah mir die Kollektion. Es war eine ziemlich bunte Mischung.
»Interessierst du dich denn für das alles?«
»Es spielt überhaupt keine Rolle, was für Filme es sind. Leute bewegen sich auf der Mattscheibe, Landschaften sind zu sehen, man wechselt Worte und so weiter. Manchmal ist es lustig, manchmal dramatisch. Frauen reiten, und Männer schießen, dann wieder ist Krieg auf einer Südseeinsel, oder jemand erlebt Abenteuer in einer Großstadt.«
»Du hast ja sogar Saturday Night Fever. Das ist doch so ein Tanzfilm mit Popmusik, wenn ich mich recht erinnere. Ist das auch dein Geschmack?«
»Warum nicht? Die zappeln und strengen sich an, da macht es doch noch mal so viel Spaß, hier in aller Ruhe zu sitzen, Käse zu knabbern und Wein zu schlürfen. Ich fühle mich jedenfalls gut unterhalten.«
»Entschuldige, wenn ich frage, aber kann das nicht auch ganz schön anstrengend werden?«
Er nickte zustimmend.
»Du meinst den Wein. Na klar, der wirkt natürlich irgendwann. Aber das dauert eine Weile, wenn man in Übung ist. Ich halte dann den Film über die Fernbedienung an und mache ein Nickerchen.
Manche Filme begreife ich beim erstenmal überhaupt nicht, aber das macht nichts, denn ich kann sie mir ja später noch einmal ansehen. Ich kann mir jedenfalls kein schöneres Leben denken und würde nicht einmal mit dem König tauschen wollen. Der Ärmste verbringt seine Tage damit, bei irgendwelchen Einweihungen und Eröffnungen weiße Bänder durchzuschnippeln.«
»Hast du nie daran gedacht zu heiraten?«
Ein Ausdruck tiefsten Schreckens überzog sein rosiges Gesicht.
»Aber, mein Lieber, was für ein verrückter Gedanke! Was sollte ich mit einer Dame anfangen? Nein, Frauen haben mich nie interessiert. Ich verstehe sie nicht, und wenn man so viele Filme wie ich gesehen hat, wird einem doppelt klar, wieviel Ärger das sogenannte schöne Geschlecht in die Welt bringt. Einmal, ich war gerade dreiunddreißig, ließ ich mich doch dazu verleiten, eine ganze Woche lang mit einem Mädchen in einer Berghütte zu verbringen. Was für ein gräßliches Erlebnis! Es gab kein Entkommen. Nein, gib mir Wein und Käse und ein paar schöne Filme, und das Leben hat seinen Sinn.«
Das war vielleicht gar kein so schlechter Gedanke, wenn man dabei war, wieder zum Junggesellen zu werden. Emmentaler, Rosenthaler Kadarka und lustige Zeichentrickfilme.
»Mein lieber Hassel, inzwischen ist es neun vor zwei. Nur zu deiner Information. Welcher Film liegt ganz oben?«
»Ein Horrorfilm: ›Der schreiende Totenschädel‹.«
»Mm, das klingt nicht schlecht.«
»Es geht um Inger Olsson. Kannst du mir etwas über sie erzählen?«
»Ich hatte sie in der siebenten, achten und neunten Klasse. Unbegabt, aber pfiffig, wenn du weißt, was ich meine. Sie verstand es blendend, andere auszunutzen. Immer waren Jungen um sie herum, und manch einen ließ sie auch ganz nahe an sich heran. Sie verfügte, wie man so sagt, über eine große Anziehungskraft auf das andere Geschlecht. Ein Chemielehrer verlor den Kopf. Verheiratet,
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