Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
durchs Haar und schien zu überlegen, wo sie beginnen sollte. Sie hatte eine dunkle Altstimme, die an die selige Zarah Leander denken ließ, obwohl diese Assoziation vielleicht nicht ganz angebracht war.
»Ich habe erst jetzt erfahren, daß Paul Kalster ermordet und seine Nichte Sandra Ryan verletzt worden ist. Das schmerzt mich tief. Sie haben viel für unseren Kampf gegen den Neonazismus getan. Ihr dürft mich übrigens gern unterbrechen, wenn ihr Fragen habt. Es ist immer besser, wenn man ins Gespräch kommt. Ich bin also Mitglied in einer Gesellschaft oder Vereinigung, ihr könnt es nennen, wie ihr wollt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, mit aller Konsequenz gegen die Neonazis vorzugehen. Wir müssen unsere Namen geheimhalten, sonst würden wir nicht mehr lange zu leben haben. Wir wissen mehr, als Kalster durch seine verlegerische Arbeit erfahren konnte. Er war ein idealistischer Theoretiker. Wir sind realistische Praktiker. Auf irgendeine Art und Weise sind wir alle Betroffene.«
Sie wollte einen Schluck Mineralwasser trinken, aber die Flasche war noch verschlossen. Simon half ihr mit einem Öffner. Sie trank und machte eine kleine Pause, bevor sie fortfuhr: »Vielleicht habt ihr gelesen, was der Beauftragte für Probleme der Diskriminierung in Schweden vor kurzem geäußert hat? Er sagte, er hätte nie gedacht, daß rassistische Denkweisen bei uns so verbreitet und bereits im Volk verankert seien. Für uns war diese Erkenntnis allerdings nicht neu. Die Neonazis haben gelernt, wie man Gift so serviert, daß es wie süßer Saft schmeckt. Was die Propaganda betrifft, sind sie sehr erfolgreich.
Wußtet ihr, daß über hundert rassistische Witze an den Schulen zirkulieren? Sie werden von den Nazis verbreitet. Jedes Schulkind, das über einen dummen Griechen, Türken oder Schwarzen lacht, hat etwas von der Naziideologie aufgenommen. Es sind eigentlich die alten Judenwitze von vor dem Krieg, die hier abgestaubt und aktualisiert wieder zur Anwendung kommen. Wer zuhört und darüber lacht, hat den ersten Schritt dahin getan, selbst Rassist zu werden.«
Sie hatte recht. Wie viele solcher Witze hörte man nicht im Laufe der Jahre? Nach dem Krieg waren vor allem die Norweger Zielscheiben des Spotts gewesen, und ich hatte junge Leute getroffen, die tatsächlich glaubten, alle Norweger seien leicht schwachsinnig.
»Neonazis gibt es überall. Nicht nur unter den Jugendlichen, sondern auch in der Staatsverwaltung und unter den Lehrern und Polizisten.«
Das war eine bewußte Provokation, und einer aus der Fahndung reagierte irritiert: »Das wird immer wieder vorgebracht. Es gäbe unter uns Rechtsextremisten und so weiter. Ich glaube das nicht.«
»Nein? Kannst du für alle sechzehntausend schwedischen Polizisten die Hand ins Feuer legen?«
»Nein, aber …«
»Kannst du garantieren, daß keiner von ihnen Neonazi ist?«
»Nein, natürlich nicht. Aber wir haben etwas dagegen …«
»Du glaubst nicht, daß es Nazis unter den Polizisten gibt, weil du es nicht glauben willst. Aber es gibt sie. Es gibt überall Menschen, die der Faszination von Macht, Gewalt und Herrenmenschentum erliegen. Wie kommt es, daß sich diese Ideologie so ungehindert verbreitet? Wie können wir zulassen, daß in diesem Land täglich Menschen erniedrigt, gedemütigt und mißhandelt werden? Wie können wir akzeptieren, daß gefährliche und verderbliche Botschaften verbreitet werden, die einer noch gemeineren Propaganda den Weg bereiten?«
Sie machte eine beschwichtigende Geste.
»Versteht mich bitte nicht falsch. Ich klage niemanden an. Der Grund ist, daß wir zu nett, gutgläubig und ahnungslos sind. Auch ich habe mich lange Zeit geweigert zu akzeptieren, daß das Böse existiert. Wir bilden uns ein, daß wir einen bösen Menschen durch Worte bekehren können, daß es reicht, auf ein gutes Beispiel zu zeigen, und schon verschwindet das Böse aus der Welt.«
Ein älterer Kollege aus der Abteilung Gewaltverbrechen wandte ein: »Willst du damit sagen, daß der eine als guter, der andere als schlechter Mensch auf die Welt kommt? Daß sozusagen von vornherein feststeht, welchen Weg ein jeder einschlägt? Das scheint mir eine allzu gewagte These zu sein. Die Theologen zum Beispiel würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.«
»Das ist keine theologische, sondern eine moralische Frage. Ich glaube, daß wir von Geburt an beides in uns haben, das Gute und das Böse, und daß die Umgebung, das Milieu, wichtiger ist als eventuelle Erbanlagen.
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