Roland Hassel - 14 - Piraten
zu beschweren, konnte ich nur lachen.
Was meine Einstellung zum Beruf anging, hatte ich schon viele Gelegenheiten gehabt, darüber nachzudenken. Mehr als je zuvor war die Welt polarisiert. Auf der einen Seite standen die Schwerkriminellen, die Angreifer, auf der anderen die Verteidiger, die Polizisten, und dazwischen die gewöhnlichen Leute, die einfach in Frieden leben wollten und es nicht schätzten, wenn ihnen jemand etwas wegnahm. Der Massenmord, dessen Zeuge ich geworden war, hatte mich fest an die Verteidiger geschmiedet. Wenn ich das Korps verließ, würde ich Sunny, Marcos und all die anderen, die ihr Leben verloren, damit skrupellose Verbrecher dicke Prämien einstrichen, im Stich lassen. Edel war ich nicht, es handelte sich um eine einfache Frage des Anstands. Die Grundlagen dazu wurden in meiner Kindheit gelegt, von meinen Eltern, Freunden und Verwandten. Man war solidarisch mit denen, die Hilfe brauchten und verdienten.
Nein, edel war ich nicht im geringsten, und wenn Ovengrens abscheuliche Ohren gesetzlich geschützt waren, konnte ich sie wenigstens verbal mit Salzsäure übergießen. Ich nahm den kurzen Weg über die Pontonjärgatan zur Garage und zog die Jacke fester um mich, denn der Wind blies kalt. Doch ich hatte nichts gegen dieses Wetter; es war normal für die Jahreszeit. Lieber hier frieren als im Mittelmeer schwitzen, auf einem Schiff, das mit Mann und Maus zum Tode verurteilt war.
Zu meiner Verwunderung sprang der Wagen sofort an, als hätte sich jemand in meiner Abwesenheit um die Batterie gekümmert. Ich fuhr zum Polizeigebäude von Huddinge, wies mich aus, wurde eingelassen und steuerte auf Ovengrens Tür zu. Als ich sie aufriß, sah ich den Kommissar im Gespräch mit einem jungen Kollegen, der sich weit weg zu wünschen schien.
»Raus!«, fauchte ich ihn an.
»Was?«
»Raus! Ich und Ovengren haben etwas zu besprechen, was nicht in der Dienstvorschrift steht.«
Möglicherweise verlieh mir mein geschorenes Haupt Autorität, denn er beeilte sich hinauszukommen. Sein jungenhaftes Gesicht zeigte Erleichterung. Warum wurden die Kollegen immer jünger? Rekrutierten wir sie inzwischen direkt aus dem Sandkasten?
»Was zum Teufel …« brüllte Ovengren, der über mein Eindringen so verdutzt war, daß er erst jetzt reagierte.
Ich lächelte mild und nahm ihm gegenüber Platz. Seine Miene zeigte, daß er sich über unser Zusammentreffen keinesfalls freute. Ich auch nicht, aber wir müssen alle Opfer bringen.
»Erkennst du mich wieder?« fragte ich gespielt freundlich.
»Wie kannst du es wagen, einfach in mein Büro einzudringen?«
»Ich habe mehrere Stunden all meinen Mut zusammengenommen.«
»Ich werde dich hinauswerfen!«
Mein mildes Lächeln verklärte sich geradezu.
»Lieber geschätzter Kommissar, tu das! Du erwiesest mir einen großen Dienst, wenn du handgreiflich werden würdest! Ich wäre unendlich dankbar.«
Endlich schien er zu merken, daß mein Lächeln nicht normal war, und er hielt einen Augenblick die Luft an. Was für ein jämmerlicher Kerl er war! Eine Schande für seine Mutter, ein Grund für seinen Vater, den Gashahn aufzudrehen, ein Anlaß für seinen Bruder, den Namen zu wechseln, eine Erklärung dafür, daß alle Verwandten ausgewandert waren. Wer Ovengren eingestellt hatte, mußte sich lebenslang Vorwürfe machen.
»Verdammt, was willst du?« grunzte er.
»Ich möchte von dir eine nette kleine Entschuldigung hören wegen der Unannehmlichkeiten, die du mir bereitet hast.«
»Wovon, zum Teufel, redest du?«
»Du hast mir durch deine unglaubliche Dummheit eine ganze Menge Ärger bereitet. Ist in dem Strohballen, den du zwischen deinen Ohren spazieren trägst, nicht ein einziges Mal der Gedanke aufgekommen, du könntest mich um Verzeihung bitten?«
»Fahr zur Hölle!«
Irgendwie war er unerreichbar. Dumm und bald pensioniert, eine fast unschlagbare Kombination. Dennoch machte ich den Mund auf und ließ ihn wissen, was ich von ihm hielt. Ich kündigte ihm an, daß ich ihn wegen Dienstmißbrauchs anzeigen und nach seinem Tod das ganze Korps auf seinem verwahrlosten Grab tanzen würde. Die ausführliche Beschimpfung dauerte eine ganze Weile, doch seine Stupidität war wie ein Panzer, so daß meine Pfeile ihr Ziel nicht erreichten. Wahrscheinlich traf ich nicht einmal die Scheibe.
Fahr zur Hölle, war sein einziger Kommentar, als mir die Zunge trocken wurde.
Auf der Rückfahrt wurde mir klar, daß mein Besuch für Ovengren, der nicht begreifen konnte und wollte,
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