Roland Hassel - 14 - Piraten
sinnlos gewesen war. Mir dagegen hatte der Ausbruch die Seele erleichtert, den Druck abgebaut, der mich von innen zu sprengen schien. Sprengen … Ich seufzte und sah mit schrecklicher Deutlichkeit vor mir, wie sich die »Carla« aufrichtete und dann Tausende Meter hinab in eine unfaßbare Tiefe glitt, um in Schlick und Sand und Sedimenten begraben zu werden.
Ich parkte den Wagen wieder in der Garage und ging in die Wohnung hinauf. Im Gefrierfach fand ich verschiedene Fertiggerichte. Ich taute eine Broccolipastete auf. Während des Essens blätterte ich in der Morgenzeitung. Über mich stand nichts drin; daraus schloß ich, daß mein Fall nicht mehr aktuell war. Später, wahrscheinlich um meinen hundertsten Geburtstag herum, würde ich die Exemplare, die von meinem Schicksal handelten, aufmerksam studieren. Ansonsten drehten sich die Artikel um Bürgerkriege, Gewalt und nochmals Gewalt, weinende Kinder mit vor Hunger aufgequollenen Bäuchen und Katastrophen – also um unsere unvollkommene Welt. Um des lieben Seelenfriedens Willen sollte man Zeitungen nicht lesen, sondern zum Einwickeln von Heringen verwenden.
Als ich Simons Büro betrat, war es, als hätte die Zeit stillgestanden. Da saß er hinter seinem Schreibtisch, die Hände lose vor dem gewaltigen Bauch gefaltet. Die kleine Gruppe war vollzählig; er hatte sie erst vorübergehend geleitet und dann als Kommissar ganz übernehmen können. Myrna Clavebo, die einzige Frau, die sowohl ihren Vor- als auch ihren Nachnamen haßte, umarmte mich zur Begrüßung, und ihr Gesicht, das italienisch geschnitten war und so gar nicht in den kalten Norden paßte, strahlte vor Freude. Ich strahlte zurück. Sie und ich, wir arbeiteten gut zusammen.
Pelle Pettersson hieß mich beherrschter, aber dennoch herzlich willkommen. Sein einst glühend rotes Haar war zu einer Kupferfarbe verblaßt, doch er war energiegeladen wie immer, was man an seinem ständigen Zappeln erkennen konnte. Jetzt klopften seine Finger einen Trommelwirbel auf dem muskulösen Oberarm. Er neigte zu radikalen Meinungen, im Gegensatz zu dem erzkonservativen Sune Bengtsson. Sune und ich waren nie Freunde gewesen, aber die Zusammenarbeit hatte lange Zeit geklappt. Nun war das nicht mehr möglich. Er erledigte seinen Teil, aber allein, obwohl Simon ihn oft zur vorgeschriebenen Teamarbeit ermahnte. Sune hatte Geheimnisse, die ich lieber nicht wissen wollte. Ohne es beweisen zu können, ahnten wir, daß er Mitglied in Organisationen war, die wir bekämpften. Obwohl das Rauchen verboten war, saugte er an seiner ewigen Zigarette, die in einem langen, zerkauten Mundstück steckte. Durch seine dicken Brillengläser starrte er mich ausdruckslos an.
Rolf Öhman war der letzte in der Gruppe. Er war unser Genie vom Innendienst und wurde manchmal sogar zu Konferenzen geladen, um seine persönlich entwickelten Methoden weiterzuvermitteln. Was er jedoch nicht lehren konnte, waren Intuition und Kombinationsvermögen. Ab und zu hatte ich mich ihm gegenüber sarkastisch gegeben, weil er mir einst eine gewaltige Dummheit großzügig verziehen hatte. Ich spürte, daß damit jetzt Schluß war. Rolf war ein Freund, und in einem Dasein, in dem Gegner und Feinde oft die Regeln bestimmen, braucht man alle seine Freunde.
Ich hatte meine Hefter mit Fotos und Namen von gesuchten Personen, und wir werteten verschiedene Hinweise aus. Nach einer Stunde hatte ich das Gefühl, das Polizeigebäude niemals zu anderen Anlässen als zum Essen, Schlafen und zu Fahndungsaufträgen verlassen zu haben. Auch die Scherze kannte ich; obwohl sie abgedroschen waren, gehörten sie dazu und schufen eine vertrauliche Atmosphäre. Ich starrte auf die üblichen Personen, die nicht abgeholt werden wollten, die wir aber abholen mußten, um sie in ein Heim, eine Jugendhaftanstalt, ein Gefängnis oder an einen anderen unangenehmen Ort zu bringen. Dort erwartete sie meistens ein Verhör oder eine Befragung, an der man nicht gern teilnahm.
Nach Rolfs Informationen war Viktor Olssons Sohn Arthur an einer Hehlerei beteiligt gewesen. Arthur war an einen unbekannten Ort gereist, und wir mußten hören, was der Papa dazu zu sagen hatte. Simon meinte, Myrna und ich könnten uns darum kümmern.
Viktor Olsson war ein kleiner, boshafter Mann. In den Kreisen, in denen er verkehrte, also unter Leuten, die gerade aus dem Gefängnis entlassen oder wieder einmal auf dem Weg dahin waren, wurde er Vicke Vire genannt. Wir fuhren zu seiner Wohnung in Arsta. Unterwegs erzählte mir
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