Rolandsrache
Feinarbeiten waren sie mit allem fertig geworden. Hemeling zeigte sich bei seinen Besuchen mehr als zufrieden und versprach, neben der ausgemachten Summe noch etwas draufzulegen. Die Aussichten waren für alle erfreulich. Von dem Geld könnten sie auch Stephan und Franziskus, die mittlerweile wieder nach Hause gefahren waren, etwas zukommen lassen.
Die Übelkeit ließ nach, und Anna nahm ihre Arbeit wieder auf.
»Ich bringe dir etwas Kompott aus Äpfeln und Birnen. Das magst du doch so gern.« Thea kam mit zwei kleinen Kümpen aus dem Wohnhaus und lächelte. »Für Claas habe ich auch einen. Ich nehme an, er ist wieder in seinem Versteck?«
»Ja.«
Gleichmäßig hörten sie das Schlagen des Klöppels aus der hinteren Ecke.
»Claas!«, rief Thea, und das Geräusch verstummte.
»Danke.« Anna nahm ihr das Kompott ab, doch der Geruch ließ ihren Magen rebellieren, und im gleichen Moment überkam sie ein heftiger Würgereiz. Das Kump entglitt ihren Fingern und ging scheppernd zu Boden.
»Anna!« Thea sah sie erschrocken an.
Anna stürzte in die Ecke und erbrach sich. »Kind, was ist mit dir?«, fragte die Magd besorgt, doch Anna winkte nur ab. Als es vorbei war und sie sich wieder aufrichtete, wurde es Anna für einen Moment schwarz vor Augen, und sie ruderte mit den Armen, doch schon fingen sie die starken Hände von Claas auf.
»Bist du krank?« Stützend nahm er sie in den Arm und führte sie zu der kleinen Bank aus Baumstämmen, die in einer Ecke stand.
Thea stellte ihr Mitbringsel ab und betrachtete Anna bekümmert. »Du bist ja weiß wie eine Wand!«
»Sorgt euch nicht. Mir war nur übel.«
»Na, na. Da stimmt doch was nicht«, beharrte Thea.
Mit ernster Miene brachte Claas ihr eine Kelle Wasser. »Ich lasse sofort nach Mechthild schicken.«
»Ein guter Einfall. Mach es bitte gleich«, sagte Thea und setzte sich neben sie. Anna wollte protestieren, hatte jedoch keine Kraft dazu.
»Bleib bei ihr, ich bin sofort zurück.« Damit verschwand er.
»Es ist nichts, glaub mir«, versicherte Anna.
» Nichts sieht anders aus. Ich habe dich schon einige Male gesehen, wie du dich übergeben hast. Nimm mir meine Offenheit bitte nicht übel, aber wenn du nicht krank bist, so glaube ich eher, du erwartest ein Kind.«
Da war es heraus! Thea sprach aus, was sie selbst befürchtete. Seit drei Monaten blutete sie nicht mehr, und wenn sie den Erzählungen, welche die Frauen von sich gaben, Glauben schenken durfte, dann hatte Thea recht. Zwar wäre es ein Kind der Liebe, ja, aber sie waren nicht mehr vermählt. Es wäre ein Bastard, und auch sie wäre gebrandmarkt. Würde Claas auch dann zu ihr stehen?
»Thea!«, sagte Anna entsetzt.
»Ich weiß, was ich sehe. Und ich war selbst eine Mutter.«
Anna ergriff Theas Hand. »Bitte sag niemandem etwas!« Beschwörend sah sie die Magd an. »Niemandem!«
Thea legte den Kopf schief, und ein trauriger Ausdruck trat auf ihr Gesicht. »Also gut.«
»Ich danke dir. Mutter würde es sonst das Herz brechen.« Tränen der Verzweiflung rannen ihre Wangen hinunter.
»Du wirst es aber nicht lange verbergen können. Schon bald wird sich dein Leib wölben. Was willst du dann machen?«
»Zuerst muss diese Figur fertig werden, dann sehe ich weiter.«
Thea nickte. »Vielleicht hat Mechthild einen Rat.«
Mechthild stellte ihr ein Fläschchen auf den Tisch. »Nimm das gegen die Übelkeit. Die Schwindelanfälle kamen von deinem Rücken, die haben wir aus der Welt. Bei deinem Kind kann ich dir nicht helfen.«
»Das musst du auch nicht.« Anna stierte auf ihre Bettdecke.
»Ich verstehe nur nicht, warum es niemand wissen soll.«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Anna, du machst mir Sorgen.«
»Bitte vertrau mir einfach.«
Mechthild seufzte. »Wie du meinst. Ein paar Tage strenge Bettruhe und reichlich von diesem Kräuterwasser. Das sollte dir wieder auf die Beine helfen.«
»Wie lange?«
»Zwei Wochen.« Die Kräuterfrau machte eine kurze Pause, doch ehe Anna protestieren konnte, lenkte sie ein. »Ich weiß um deine Arbeit. Eine Woche solltest du auf jeden Fall ruhen.«
Erleichtert atmete Anna aus. Eine Woche war machbar, sie hatte nur noch fünf Buchstaben vor sich. »Und du wirst es bestimmt niemandem sagen?«
Etwas Trauriges lag in Mechthilds Augen. »Es ist dein Leben und das Leben deines ungeborenen Kindes.«
»Auch Mutter und Claas nicht?«
»Wenn es dein Wunsch ist, werde ich schweigen.«
»Ja, das ist es.« Anna nahm Mechthilds Hände in ihre. »Ich bitte dich
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