Rolandsrache
hast es vorgezogen, ohne mich zu leben. Dabei hätte ich alles für dich getan. Hasst du mich so sehr, dass du mich töten wolltest?« Er legte den Kopf schief und wartete auf Antwort.
»Hm hm …« Hektisch schüttelte sie den Kopf.
Grinsend stand Heinrich auf, doch augenblicklich spiegelte sich der Hass in seiner Miene wider. »Wusste ich es doch.« Erneut schlug er ihr ins Gesicht. Annas Kopf flog herum und schlug wieder gegen den Keil. Ihre Wange brannte, und ihr Kopf schmerzte. Tränen schossen ihr in die Augen.
»Du sollst nicht lügen. So steht es schon in der Heiligen Schrift geschrieben. Und Strafe muss sein.« Seelenruhig setzte er sich wieder. »Willst du wissen, wie es mir ergangen ist?«
In der Hoffnung, Zeit schinden zu können, bis die anderen aus der Kirche zurückkamen, nickte Anna zaghaft.
»Dann will ich es dir erzählen. Nachdem du mich über die Klippen gestoßen hast, fiel ich in die See, die mich von der Insel forttrug. Ich hatte schmerzende Rippen und eine klaffende Wunde, und ich glaubte, keine Luft zu bekommen. Irgendwie schaffte ich es, mich auf dem Wasser treiben zu lassen, bis ein Fischerboot zu sehen war. Ich rief um Hilfe, und die gottesfürchtigen Männer nahmen mich auf. Sie brachten mich zurück auf die Insel, und dann verlor ich das Bewusstsein. Wochenlang lag ich im Fieber, das die entzündete Wunde hervorgerufen hatte. Die Frau des Fischers versorgte mich mit Kräutern. Als es mir etwas besser ging, schickte ich sie zu unserem Haus, aber von dir fehlte jede Spur. Niemand hatte dich mehr gesehen.«
Heinrich zog den Trinkbeutel hervor und nahm einen Schluck. »Vor einer Woche kam ich zurück. Ich kroch in der Hütte vom Narbigen unter und habe euch beobachtet. Tag für Tag bin ich durch diese Gasse geschlichen. Ich habe nur auf den Sonntag gewartet, denn gottesfürchtige Menschen gehen am Tag des Herrn in die Kirche. Dass du nun hier bist, habe ich nicht gewusst, aber es erspart mir eine Menge Arbeit.«
Heinrich erhob sich und zeigte auf den Kopf der Figur. »Damit werde ich anfangen.«
Nur wenige Augenblicke, dann wäre hier alles zerstört, dessen war Anna sicher. Und sie selbst vermutlich tot. Wenn sie doch nur Zeit gewinnen könnte.
»Mhmhmh!« Sie zerrte an ihren Fesseln. Tränen rannen ihr die Wangen hinunter.
»Sch …« Er legte den Zeigefinger vor seinen Mund. »Sei still, sonst bringe ich dich zum Schweigen«, drohte er. Seine Augen blitzten, und sie zweifelte nicht an seinen Worten. Er ging zum Flaschenzug, an dem der Kopf hing, und begann, an der Halterung zu hantieren.
Hektisch dachte sie nach. Was konnte sie nur tun? Sie sah sich um.
Die Keile! Direkt neben ihr waren die Seile für das Wappen vertäut, unter dem Heinrich in diesem Moment stand. Vorsichtig drehte sie sich, bemüht, kein Geräusch zu machen. Er war vertieft, hatte bereits eins der Seile gelöst. Der feine Sand unter ihrem Körper knirschte, als sie noch ein Stück näher heranrückte. Endlich hatte sie die richtige Position und hob die Beine an.
Heinrich musste es gehört haben, denn nun sah er zu ihr herüber. »Was machst du da?«
Anna trat mit beiden Füßen so fest sie konnte gegen die Keile. Sie wurden aus dem Balken gerissen, flogen davon. Heinrichs Augen weiteten sich. Ehe er reagieren konnte, schnellte das daran befestigte Seil in die Höhe. Er starrte nach oben. Das steinerne Wappen sauste mit einem lauten Krachen auf ihn herunter. Eine dicke Staubwolke erfüllte den gesamten Innenhof. Anna hielt die Luft an und drehte den Kopf weg. Stille senkte sich über den Raum, nur hier und da rieselten kleine Steinsplitter zu Boden. Vorsichtig atmete sie.
»Was’n hier los?«, fragte eine besorgte Männerstimme.
Anna sah zur Tür. Claas’ Freund Karl kam auf sie zugerannt. Mit zwei Sätzen war er bei ihr und löste den Knebel.
»Anna! Geht’s dir gut?« Er betrachtete sie ernst, während er ihr die Fesseln abnahm.
Anna nickte, sie war noch immer wie betäubt. »Mir geht es gut.«
Karl deutete auf das Wappen, unter dem ein regungsloser Fuß herauslugte. »Wer ist das denn?«
»Das ist jetzt nicht mehr wichtig.« Sie rieb sich die schmerzenden Handgelenke, ging zum Flaschenzug, der den Kopf hielt, und zurrte das lose Seil wieder fest.
»Kannst du bitte nachsehen, was mit Bertram ist.« Anna zeigte zur Küche. »Er kam nicht, als ich um Hilfe gerufen habe.«
Karl nickte und wies auf den Toten. »War der allein oder sind noch mehr da?«
»Allein.«
»Dann warte eben.«
Er betrat
Weitere Kostenlose Bücher