Rolandsrache
ihre Hand. »Und ich möchte das auch nicht.«
Verwundert schaute sie zu ihm auf und versuchte in seinen Augen zu lesen, was er damit meinte; er überragte sie um gut einen Kopf.
»Heirate mich. Ich kann für euch sorgen.«
Sie starrte ihn sprachlos an. Das war ein Antrag, sie hatte sich nicht verhört.
»So du mich denn willst«, ergänzte er.
Und wie gern sie wollte! Seit vielen Jahren mochte sie Claas mehr, als sie sich eingestanden hatte. Jeden anderen hatte sie abgewiesen, sich aber nie getraut, es ihm zu zeigen. Welche Ironie des Schicksals, dass er sie in dieser Lage fragte, nun, da sie im Begriff waren, alles zu verlieren.
Mit leiser Stimme sagte sie: »Claas, das geht nicht.«
»Warum?« Sanft zog er sie zu sich heran, wobei sie beinahe gestrauchelt wäre, doch er hielt sie mit seinem starken Arm fest und gab ihr Halt. Ihre Beine zitterten, und ihr erster Impuls war zurückzuweichen, aber sie tat es nicht.
Sein Mund näherte sich ihrem, berührte ihre Lippen. Weich und warm spürte sie ihn, und er schmeckte nach frischem Wasser. Ein Kribbeln lief durch ihren Körper, etwas, das sie noch nie gespürt hatte. Es fühlte sich erst wohlig, dann beinahe brennend an und machte sie neugierig. Doch etwas in ihrem Hinterkopf warnte sie, dass es unrecht war, was sie hier taten, und so sehr sie das Gefühl auch weiter spüren wollte, sie durfte es nicht geschehen lassen, es war nicht recht, ihm nachzugeben.
»Claas, wir dürfen das nicht!«, hauchte sie atemlos und schob ihn sachte von sich.
Seine Augen lachten, und er gab nicht auf. Als seine Lippen erneut ihre berührten, brach ihr Widerstand. Seine Finger fuhren über ihren Hals, ihren Nacken und bahnten sich einen Weg in ihren Mantel, schlichen ihren Rücken entlang. Noch unsicher legte sie ihre Arme um seinen Hals, strich über seine strohigen Haare und spielte mit einer Strähne.
Seit sie vor einigen Jahren beobachtet hatte, wie er Clara, die Tochter von Wegener, in deren Vaters Scheune geküsst hatte, hatte sie sich gewünscht, dass er es ebenso mit ihr machen würde. Anna hatte immer geglaubt, dass die beiden heiraten würden. Auch jetzt dachte Anna an diesen Augenblick zurück, der ihr stets einen Stich versetzt hatte, aber nun verblasste. Jetzt war sie es, die er küsste, und sie hatte das Gefühl, gleich zu zerspringen!
Er hielt sie in seinen starken Armen, und sein Mund war zärtlich, während seine Hand ihren Nacken weiter liebkoste. Der Boden unter ihren Füßen schwand, und sie glaubte, in der Luft zu schweben. Sein Atem beschleunigte sich, ebenso der ihrige. Ein Prickeln lief über ihre Haut, als er sie sanft am Hals küsste, und ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen. Claas’ Mund wanderte wieder zu ihrem, sein Kuss wurde fordernder, und ihre Zungen tanzten wild umeinander. Sie spürte, wie sein glühend heißer Körper ihrem entgegenbebte, fühlte jeden seiner Muskeln unter ihren tastenden Fingern. Als sie glaubte, auf Wolken zu schweben, hielt er plötzlich inne und schob sie sacht ein Stück von sich weg.
»Sag einfach ja, ehe ich nicht mehr Herr meiner Sinne bin«, hauchte er außer Atem.
Anna sah in seine Augen und las dort ein solches Verlangen, dass ihre Beine weich wurden vor Verzückung. Dann fiel ihr das ernüchternde Gespräch, das sie erst vor ein paar Augenblicken mit ihrem Onkel geführt hatte, ein, und das freudige Gefühl verebbte darunter. Mit einer Heirat wären zwar vorerst all ihre Sorgen gelöst und, oh, wie gern würde sie Ja sagen, denn sie liebte Claas, das wusste sie jetzt. Sie wollte ihr Leben mit ihm teilen. Doch es wäre nicht anständig ihm gegenüber, sie würde ihn damit in den Abgrund reißen. Traurig senkte sie den Blick.
»Du weißt, wenn ich das täte, würdest du die Werkstatt meines Vaters übernehmen müssen und mit ihr die Schuld, müsstest womöglich selbst in den Schuldturm. Nein, Claas, ich kann nicht. Lass uns erst diese Statue fertigmachen, dann sage ich gerne Ja.«
»Bis dahin sind es noch Monate. Du vertraust mir nicht«, sagte er, ohne seine Enttäuschung zu verbergen. »Glaub mir, ich könnte für euch sorgen, und die Schuld an deinem Vater wäre abgegolten. Außerdem hätte ich den Meistertitel und wäre in der Zunft. Wir könnten mit den Aufträgen, die von dort kommen, die Schuld abtragen, sodass niemand in den Turm muss und ihr auch das Land nicht verliert. Ich bin zuversichtlich, dass wir diesen Roland fertigbekommen.« Er deutete um sich. »Wir müssen nicht warten, Anna.«
»Von
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