Rolandsrache
erneut eine kurze Pause, doch da sie nichts sagte, fuhr er fort. »Deswegen fühle ich mich für den Tod deines Vaters verantwortlich. Ich habe ihm am nächsten Tag davon erzählt, aber er hat es nicht ernst genommen und darüber gelacht.«
Wenn Claas dem Wein zu sehr zugesprochen und dadurch etwas von der Statue erzählt hatte, war er womöglich schuld an allem, schuld am Tod ihres Vaters, schuld, dass sie drohten ihr Heim zu verlieren. Die Erkenntnis traf Anna mit voller Wucht.
»Du meinst, du hast …« Ihre Stimme überschlug sich beinahe. »Du hast euren Auftrag preisgegeben?«
Er zuckte mit den Schultern und fuhr sich verlegen mit der Hand durch das schneeflockenbenetzte Haar. »Ich weiß es nicht, und ich wollte, ich könnte Karl fragen, doch er ist nicht da, und ich habe keine Ahnung, wann er zurückkommt.«
»Wie konntest du nur?« Ihre Stimme war laut geworden, und sie legte alle Verachtung, die sie in diesem Moment für ihn empfand, in ihre Worte.
Er fuhr leicht zusammen, fing sich jedoch gleich wieder, fasste sie an der Schulter und drehte sie zu sich herum, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas davon sagte, Anna, bitte …«
»Lass mich los!« Sie entwand sich seinem Griff und rannte, so schnell sie konnte.
»Anna, so warte doch«, rief er, doch sie hörte nicht mehr zu und hastete quer über das aufgeweichte Feld nach Hause.
4
»Mutter, wie kannst du nur von mir verlangen, dass ich ihn heirate?« Warm liefen die Tränen über Annas Wangen, erreichten ihren Mund. Sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen und wischte sich mit den Ärmeln das Gesicht trocken.
»Kind, welche anderen Aussichten haben wir denn noch! Wir sind mittellos, schlimmer noch, wir verlieren unser Heim, falls es Claas nicht gelingt, diese ver…« Ihre Mutter bekreuzigte sich hastig und errötete. »… diese steinerne Figur fertigzubekommen.« Verlegen zupfte sie am Saum ihrer knöchellangen Schürze. Fluchen war für sie etwas absolut Schlimmes, und Anna hörte es nur selten aus ihrem Mund.
Als Claas ihr den Antrag gemacht hatte und sie über den Schuldturm sprachen, war ihre Mutter auf der Suche nach Anna gewesen und hatte von draußen alles mit angehört. Ehe die beiden sie entdecken konnten, war sie schon wieder in den Wald eingetaucht und nach Hause gelaufen. Heute, zwei Tage später, hatte ihre Mutter sie zu sich in die Kammer gerufen, in der sie jetzt auf und ab ging, und nach der ganzen Wahrheit über die Schulden verlangt. Anna hatte ihr daraufhin berichtet, wie es um sie stand. Magda Olde hatte sich ein wenig erholt und wirkte beinahe so stark wie früher, wofür Anna dankbar war. Aber sie kannte ihre Mutter: Als damals die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter eingetroffen war, war sie stark geblieben, hatte ihrem Mann und ihrer Tochter kaum etwas von ihrem Schmerz gezeigt, aber Anna wusste es besser. Als ihre Mutter sich unbeobachtet fühlte, hatte sie geweint und gelitten.
»Aber Mutter! Claas ist schuld …« Anna biss sich auf die Lippen. Noch war es nicht erwiesen, sie durfte es auf keinen Fall einfach behaupten und falsches Zeugnis über ihn ablegen. Sie sah auf das leere Bett, in dem vor Kurzem ihr Vater gestorben war.
Ihre Mutter hakte nach. »Schuld woran?«
»Ach, er und …« Sie schluckte heftig, sie versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten, und überlegte hastig, wie sie das Gesagte wieder geraderücken konnte. »Sie hätten diesen Handel mit dem Roland nie eingehen dürfen.« Etwas Schlechtes konnte sie über Claas nicht sagen, denn ihre Mutter, die nun nervös begann, getrocknete Wäsche in die Truhe zu sortieren, hing an ihm wie an einem Sohn.
»Gib ihnen nicht die Schuld daran, Anna. Dein Vater hat immer davon geträumt, etwas Großes zu vollbringen. Es ist nun einmal geschehen, und nun bietet Claas dir seine Hand an. Er könnte für uns sorgen.«
»Pest und Pickel!«
»Anna!« Ihre Mutter klappte die Truhe laut zu, sah sie mahnend an und bekreuzigte sich.
»Verzeih.« Entmutigt ließ Anna sich auf das frisch bezogene Bett sinken. Es roch nach blumiger Seife, eine von den teuren mit Lavendel, die Mutter nur für festliche Anlässe benutzte. Vermutlich hatte ihre Tante sie zum Waschen der Laken genommen, damit ihre Mutter nicht an ihren Ehemann erinnert wurde. »Wie soll er denn, verletzt wie er ist?« Wütend ob ihrer Hilflosigkeit ballte Anna die Hände zu Fäusten, bis sie ihre Nägel brennend in der Haut fühlte.
»Aber Kind, sein Arm ist in ein
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