Rolandsrache
welcher Schuld sprichst du?«
Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Ich stehe in vielerlei Hinsicht in der Schuld deines Vaters.«
»Ist das der Grund für den Antrag?«
»Gibt es einen besseren?« Er sah sie fragend an und runzelte die Stirn.
Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Annas Gedanken rasten durcheinander. Er hatte kein Wort von Liebe gesagt. Ging es ihm am Ende nicht um sie, sondern um den Titel, die Zunft, den Status und eine alte Schuld? Sie hatte immer davon geträumt, aus Liebe den Bund einzugehen, und auch ihr Vater hatte das für sie gehofft und sie nie gedrängt, sich einen Mann zu nehmen. Ernüchtert schob sie ihn von sich und wandte den Blick ab, der sich nun auf den Arbeitstisch mit dem abgenutzten Klöppel ihres Vaters heftete. Ihr Herz, das vor ein paar Augenblicken noch glühend für Claas geschlagen hatte, gefror zu Eis.
»Nein, Claas«, sagte sie bestimmt.
»Warum nicht?«
Sie suchte nach Worten, um es ihm zu erklären, doch da unterbrach ein Geräusch von draußen ihre Überlegungen. Abrupt drehte Claas sich um, schob Anna hinter sich und hob eine am Boden liegende Holzlatte auf.
Gespannt beobachtete sie die Tür und hielt unwillkürlich den Atem an, als Claas nun langsam darauf zuging. Ihre Gedanken überschlugen sich. Waren die Mörder doch zurückgekehrt, um ihr begonnenes Werk zu vollenden und alles zu zerstören? Oder war es ihr Onkel, hatte er sie abermals beobachtet? Nein, das war unmöglich, wie hätte er sie durch die Wände sehen sollen! Vielleicht war es eine ihrer Basen, die sie holen sollte. Sie lauschten beide und vernahmen draußen Schritte, die sich rasch entfernten und immer leiser wurden, als würde jemand davonlaufen.
Claas deutete ihr mit Handzeichen an, dass er hinausgehen würde und sie den Balken vorlegen und sich anschließend hinter den Blöcken verstecken sollte. Stumm nickte sie und trat hinter ihn. Sie sah, wie seine Muskeln sich unter dem Hemd anspannten, während er an der Tür lauschte.
Er horchte einige Atemzüge lang, dann öffnete er sie beinahe geräuschlos und spähte durch den entstandenen Spalt. Als nichts geschah, schlüpfte er hinaus. Anna hievte den wuchtigen Balken hoch und legte ihn mühsam in die Vorrichtung, dann schlich sie hinter die schweren Blöcke und lehnte sich mit pochendem Herzen dagegen. Minuten vergingen, und sie vernahm nur ihren eigenen Herzschlag und den Wind, der durch die Bretter des alten Lagerhauses pfiff.
Claas hatte sie geküsst, sie schmeckte ihn noch immer auf ihren Lippen, und vor diesem Unglück hätte sie alles dafür gegeben, dass er es tat. Sie hätte vor nicht allzu langer Zeit sofort eingewilligt, ihn zu ehelichen, selbst heute, vor seinen kühlen Worten, war die Versuchung groß gewesen.
Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken und sah sich nach etwas um, das sie als Waffe benutzen konnte. Ein paar Meter entfernt lag ein abgenutzter alter Klöppel; es war nicht viel, aber immerhin würde sie sich wehren können. Sie wagte die zwei Schritte aus ihrem Versteck, hob ihn auf und schlüpfte wieder in Deckung. Dann sprach sie in Gedanken ein Stoßgebet zur Heiligen Jungfrau Maria. »Bitte halte schützend deine Hand über ihn und wache in dieser Stunde über uns. Ich werde auch nicht mehr fluchen. Amen.«
Eine Bewegung dicht neben ihr erschreckte sie, und sie presste die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien, doch es war nur die Maus mit dem Stück Käse im Mäulchen. Erleichtert lächelte Anna, während das kleine Tier die Flucht ergriff.
Vorsichtig lugte Anna wieder um die Ecke und behielt den Eingang im Auge. Ihr schien es wie eine Ewigkeit, bis es klopfte. Unsicher, ob es Claas war, ging sie darauf zu.
»Anna, ich bin es, mach auf.« Seine Stimme zu hören ließ sie erleichtert aufseufzen, und freudestrahlend öffnete sie. Er schlüpfte herein und legte sofort wieder den Balken vor.
»Gott sei Dank, dir ist nichts passiert!« Sie musste sich beherrschen, ihm nicht vor Erleichterung um den Hals zu fallen. »Konntest du jemanden sehen?«
Sein Gesicht war ernst, und er wirkte noch immer angespannt. »Nein, niemanden.«
»Aber die Schritte?«
»Wer immer es auch war, ist jetzt weg, und wir sollten zurückgehen, es ist im Moment nicht sicher hier. Ich hätte vorher daran denken müssen und dich gleich nach Hause bringen sollen.« Er kam zu ihr herüber und fasste sie mit ernster Miene bei den Händen. »Sag Ja, Anna. Wir werden es gemeinsam richten.«
»Ich brauche Zeit, Claas, mein
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