Rolandsrache
ihren Pferdedecken erkannte er bereits, wessen Besuch ihm bevorstand. War es Hemelings Verdienst, dass sie ihn heute aufsuchten?
Als er öffnete, blies der kalte Wind zu ihm herein und brachte das Feuer zum Tanzen. Vor ihm standen zwei Männer, die den Wappenrock von Bremen trugen. Ihre Hände lagen ruhig auf den Griffen der langen Messer, die in den Scheiden an ihren Gürteln hingen. Der dunkelhaarige Simon lächelte. Der junge Büttel war ihm bekannt, denn sie waren beide Freunde von Karl, und nicht selten hatten sie am Kamin einer Schenke mit reichlich Wein einen guten Abend verbracht. Die Miene des anderen war ernst. Claas sah ihm an, dass er keine Freude daran gehabt hatte, durch den Schneeschauer hierher zu kommen. Er war um einiges älter und hatte dunkle Ränder unter den Augen. Sein linkes Auge war kleiner als das rechte und zuckte unentwegt.
»Bist du Claas Zellheyer?«
Er nickte. »Derselbige.«
»Wir sind vom Vogt beauftragt, dich wegen des Mordes an Jacob Olde aufzusuchen. Lass uns bitte ein bei dem Sauwetter, auf dass wir unsere verfrorenen Knochen wärmen können.«
Claas hielt ihnen die Tür auf. »Recht habt ihr, kommt nur herein.«
Von dicken Schneeflocken begleitet betraten die beiden eilig seine Kammer. Claas nahm seine Arbeitskluft vom Stuhl und warf sie in die Ecke, dann schloss er den Laden. »Setzt euch.«
Im Vorbeigehen klopfte Simon ihm aufmunternd auf die Schulter und ging dann geradewegs zur Feuerstelle, um seine knochigen Finger zu wärmen. Der andere nahm seine Mütze ab und entblößte ein beinahe blankes Haupt. Schwer ließ er sich auf den Stuhl sinken und drückte mit seiner Hand in seinen dicken Bauch. »Sauwetter, verdammtes!«, wiederholte er sich. »Ist Gift für meine Galle.«
Simon verdrehte die Augen.
»Mein Name ist Rudolfus«, sagte der Ältere und deutete auf Simon. »Und ihr scheint euch ja zu kennen.«
»Kann man so sagen.« Claas nickte und zog sich ein dickes Hemd über. »Trinkt ihr etwas dünnen Wein?«
»Nein«, sagte Rudolfus und hob abwehrend die Hand. Simon jedoch willigte ein und grinste breit, wobei er seine schiefen Zähne enthüllte.
Claas goss zwei Becher ein und reichte einen an Simon weiter, der sogleich einen kräftigen Schluck nahm. »Ich habe euch schon vor Tagen erwartet«, sagte er vorwurfsvoll und setzte sich Rudolfus gegenüber, den er mit den Augen fixierte.
»Du glaubst ja nicht, was in der Stadt und umzu alles los ist. Betrogene Händler und welche, die selbst betrügen, Diebesgesindel, das rechtschaffene Bürger beraubt, Huren, die ihre Freier prellen, und ein Mörder, der nachts durch das Schnorr geschlichen ist und zwei Mägde getötet hat. Den haben wir aber gestern endlich gefasst. Wird hingerichtet, wenn der Rat sich endlich einigt. Ohne den Bürgermeister ist es schwer, das Recht durchzusetzen«, stöhnte der Angesprochene. »Aber nun sind wir ja hier.«
Der Bürgermeister war wegen einer schweren Krankheit, von der er sich nicht erholen wollte, im Herbst abgesetzt worden. Da die zwölf Ratsherren sich auf keinen Nachfolger einigen konnten, war es für die Stadt schwierig, in rechtlichen Angelegenheiten Entscheidungen zu treffen. Außerdem drohte nun auch noch der Graf von Hoya mit Maßnahmen gegen einige Ratsherren, die ein paar seiner Bauern Unterschlupf auf ihren Ländereien gewährten. Auch in der Zunft bekam man diese Missstände zu spüren. Wer vor den Rat trat, weil er Schwierigkeiten hatte, seine Entlohnung für eine getane Arbeit zu erhalten, musste nicht selten lange auf eine Rechtsprechung warten.
»Seid ihr schon bei Frau Olde gewesen, oder wisst ihr etwas Näheres?«
»Nee«, sagte Simon, und beide schüttelten den Kopf.
Rudolfus sprach mit verdrossener Miene: »Der Vogt bestand darauf, dass wir dich unbedingt heute noch aufsuchen. Da Witwe Olde gerade ihren Mann begraben hat, sollen wir Rücksicht nehmen und noch einen Tag warten. Wir gehen erst morgen zu ihr. Dabei wohnt sie nur einen Steinwurf entfernt.« Er sah aus dem Fenster, dann wandte er sich wieder Claas zu. »Aber niemand interessiert sich für zwei Büttel, die sich den weiten Weg durch dieses Sauwetter kämpfen müssen.«
In seiner Stimme lag Empörung, was Claas insgeheim erfreute.
»Habt lange genug auf euch warten lassen. Glaubt ihr nicht, dass die Mörder nun schon längst über alle Berge sein können? Und einer Witwe sollte man ein paar Tage zum Trauern gönnen. Der Vogt ist sehr rücksichtsvoll«, erwiderte er und hoffte, dass seine kleine
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