Rolandsrache
paar Wochen wieder verheilt. Wenn du ablehnst, verlieren wir so oder so alles, was uns lieb und teuer ist, was dein Vater mit seinen Händen geschaffen hat. Und wenn Claas dann auch noch geht … Ach, ich mag es mir gar nicht ausmalen.« Sie faltete ihre Hände, als wollte sie beten.
»Heiratest du ihn und er bringt die Arbeit nicht zu Ende, kann er doch andere Aufträge annehmen. Wie lange, glaubst du, müssten wir beide uns als Näherinnen oder Wäschefrauen verdingen, um diesen hohen Schuldenberg abzutragen? Wo sollen wir leben, wenn sie uns das Haus nehmen?« Schwer ließ auch sie sich auf das Bett sinken, welches dieses Mal ein gefährliches Knarren von sich gab. »Oder willst du etwa, dass ich einen anderen Mann ehelichen muss?«
Ihre Miene war bei diesen Worten so voller Kummer, dass Anna einen Stich in ihrem Herzen spürte. Ihre Mutter hatte mit allem, was sie sagte, recht, es gab keine andere Möglichkeit, und das machte sie unglaublich wütend. Die Frau des Mannes zu werden, der vielleicht den Tod ihres Vaters zu verantworten hatte, jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Und doch fühlte sie sich zu ihm hingezogen und hasste sich dafür, denn er wollte sie mit Sicherheit nicht aus Liebe heiraten, ihm ging es um den Titel, das war ihr jetzt klar geworden. »Pest und Pickel!«, flüsterte sie unhörbar und senkte ebenfalls traurig den Kopf.
Ihre Mutter stand auf, trat vor sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Claas ist ein guter Mann, du wirst sehen. Wir kennen ihn schon so lange, und es wäre bestimmt in Vaters Sinn gewesen. Er war ihm lieb wie ein Sohn, das weißt du doch.«
Anna wusste es, konnte sich aber nicht vorstellen, dass ihr Vater ihm dies wirklich verziehen hätte, doch er war nicht mehr hier, konnte nicht mehr einschreiten. Erinnerungen streiften ihre Gedanken. Sie sah, wie er sie als Kind getröstet hatte, wenn sie gefallen war. Wie er ihr das Bildhauen beibrachte, sie auf den Arm nahm und umherdrehte, ihr zärtlich über die Wange streichelte und sie »Mein Ein und Alles« nannte.
Sie schluckte ihre Tränen hinunter. Ihre Mutter hatte es schon schwer genug, und gerade von ihrem Zustand genesen, wollte Anna sie jetzt nicht weiter aufregen. Doch an ihrem Vater kam es ihr wie ein Verrat vor. »Sicher hast du recht.«
Die Sorgenfalten auf dem Gesicht ihrer Mutter glätteten sich. Sie zog ein Tuch aus ihrer Schürze, befeuchtete es an einer Stelle mit der Zunge und wischte Anna damit liebevoll über die verweinten Augen, so wie sie es früher immer getan hatte. Eine vertraute Wärme stieg in Anna auf, als sie wie ein kleines Mädchen im Arm ihrer Mutter lag.
»Komm, nun sei nicht mehr traurig und lass uns gleich zu Claas gehen, um es ihm zu sagen.« Sie drückte ihre Tochter noch einmal herzlich und stand auf.
»Bitte nicht heute«, flehte Anna.
Das Klappen der Tür unterbrach sie, und zaghaft schaute ihre Tante in die Kammer, in den Händen einen neuen Stapel Wäsche. »Oh, ich wusste nicht, dass ihr hier drin seid. Komme ich ungelegen?«
Magda Olde fuhr herum. »Im Gegenteil, Eva!« Lächelnd nahm sie ihrer Schwester einen Teil der Wäsche ab. »Stell dir vor, Anna und Claas werden heiraten.« Ihre Mutter schien ebenso wie Anna für diese Unterbrechung dankbar.
»Oh, das sind ja gute Neuigkeiten. Wann soll es denn so weit sein?« Sie wirkte etwas überrascht, kam herein und nahm Anna in den Arm.
»Das wissen wir noch nicht. Aber ich glaube, recht bald«, sagte ihre Mutter.
Die Tante schob Anna ein Stückchen von sich weg und betrachtete ihr Gesicht mit strenger Miene. »Einen glücklichen Eindruck machst du aber nicht, wenn ich mir deine verweinten Augen ansehe. Ich hoffe doch, es waren Freudentränen! Onkel Ludwig erzählte schon davon, dass ihr zwei euch näher steht, als ihm lieb sei.« Sie zwinkerte.
Anna stieg die Röte ins Gesicht, als sie bedachte, dass er sie in einer verfänglichen Situation mit Claas angetroffen hatte.
»Die Werkstatt ist damit in guten Händen, Eva«, erwiderte ihre Mutter. »Claas war schon immer fleißig und wird meiner Tochter bestimmt ein guter Ehemann sein.«
Anna biss sich verzweifelt auf die Lippen, um nicht zu widersprechen, und schwieg.
»Na, dann ist ja alles in bester Ordnung. Onkel Ludwig muss sich nicht mehr um euch sorgen, und wir können morgen in Ruhe abreisen.«
»Das könnt ihr. Und er hätte sich auch nie Sorgen machen müssen!«, polterte Anna los, worauf ihre Tante die Augenbrauen nach oben zog. Etwas friedlicher
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