Rolandsrache
Anna noch ein kleines Mädchen war. Sie war seit dieser Zeit ein festes Mitglied der Familie geworden, und neben den anfallenden Arbeiten verstand sie es besonders, aus den einfachsten Zutaten ein sehr schmackhaftes Essen zu kochen.
Die Freude über das Wiedersehen war groß, wenn auch zunächst unter Tränen die schlechten Neuigkeiten ausgetauscht wurden. Thea beklagte ebenfalls den Verlust ihres Vaters, welchen die Schwindsucht dahingerafft hatte. Sie hatte am Bett ihres Vaters gewacht, bis er vom Allmächtigen zu sich gerufen wurde. Nun war ihre Mutter gut im Haus der Schwester untergekommen, sodass Thea zu den Oldes zurückkehren konnte. Die Nachricht vom Tod des Meisters traf sie tief, doch sie war leidgeprüft und stark und konnte sich recht schnell wieder fangen.
Nachdem die Tränen getrocknet waren und Thea mit gesundem Appetit das kalte Huhn vom Mittag verspeiste, ging Magda zu den guten Neuigkeiten über.
»Stell dir vor, unsere Anna und Claas werden heiraten.«
»Ach, Mutter Olde, da bin ich mal ein paar Wochen weg und schon hat sich die ganze Welt verändert. Nun heiratet unser kleines Mädchen also auch.« Thea kniff Anna in die Wange. »Aber habe ich nicht schon vor Jahren gesagt, dass die beiden ein Paar werden?« Sie wischte sich mit einem Lächeln eine weitere Träne ab.
Magda legte die Hand auf Theas Schulter und seufzte erleichtert. »Ja, du hast es gewusst, und mir als Mutter ist es verborgen geblieben.«
»Mütter sind meistens die Letzten, die etwas gewahr werden. Der meinen ging es damals ebenso«, gluckste Thea. »Meister Olde war bestimmt froh, Anna noch in guten Händen zu wissen.«
Augenblicklich begann Magda wieder zu weinen. »Er hat es nicht mehr erfahren.«
Anna schlich unbemerkt von den beiden aus dem Zimmer. Nun, da sie ihre Mutter wieder in guten Händen wusste, wollte sie eine Weile allein sein und nachdenken.
Fast war sie in ihrem Zimmer, als es erneut unten an der Tür klopfte. Das war ja ein Kommen und Gehen heute! Gespannt, wer es dieses Mal war, machte sie kehrt. Draußen im kalten Wind stand Claas.
»Anna, kann ich dich kurz sprechen?« Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und vermutlich nicht viel Schlaf gefunden.
»Ja, komm doch herein.« Sie bemühte sich, gelassen zu klingen, obwohl ihr Herz zu klopfen begann.
»Nein, nicht drinnen, komm bitte mit nach draußen, es sollte unter uns sein.«
Mit aufkeimendem Unbehagen nickte sie, griff sich aber den dunklen Mantel vom Haken neben der Tür. »Mutter, Claas ist hier. Wir gehen kurz nach den Pferden sehen«, rief sie in die Küche.
»Geht nur, aber kommt gleich beide noch einmal herein«, sagte Magda, während Thea sich im Hintergrund lautstark schnäuzte.
Im Stall ging Anna zu ihrer Lieblingsstute Maria und strich ihr über die Nüstern, was diese ihr mit einem sanften Nasenstupser dankte. »Thea ist wieder da.«
»Das ist gut. Sie wird euch eine große Hilfe sein.«
Anna nickte, nahm sich die Bürsten und begann, das Pferd zu striegeln. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Claas die Tür zuzog, die Arme vor der Brust verschränkte und sie einen Moment schweigend beobachtete. Dann berichtete er von den zwei Bütteln, die am Abend zuvor bei ihm gewesen waren und denen er gefolgt war.
»Wohin sind sie denn gegangen?«
»Simon machte sich allein in Richtung Vogt davon. Rudolfus jedoch ritt nicht nach Hause, wie er zuvor so eindringlich erzählt hatte, sondern kehrte geradewegs in der Schenke an der Schlachte ein.«
»Vielleicht war es ausreichend, dass einer dem Vogt berichtete. Er wird seinen Durst gestillt haben. Oder glaubst du, er hatte etwas zu verbergen?« Sie war sicher, dass Claas mehr wusste, sonst hätte er sie nicht so dringlich nach draußen gebeten.
»Nach Durst sah es nicht aus. Ich glaube, er hat bei meiner Beschreibung von dem Narbigen jemanden im Sinn gehabt. Als ich ihn direkt fragte, sagte er nichts dazu. Obwohl er dringend nach Hause zu seinem Weib wollte, kehrte er in der Schenke ein. Er traf sich dort mit einem Mann, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen lag. Es machte den Anschein, dass er nicht erkannt werden wollte. Das ist doch sehr merkwürdig, oder? Außerdem war das Gespräch der beiden sehr hitzig, aber leider so leise, dass ich wegen der vielen grölenden Leute nichts verstehen konnte. Nach einiger Zeit schob der Kuttenträger Rudolfus einen prallen Beutel zu.«
»Kuttenträger? War es ein Priester?«, unterbrach Anna ihn.
»Möglich. Seltsam war aber, dass er eine Kutte
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