Rolandsrache
belegen, dass der Kaiser sie schützen würde und ein Befürworter des Roland war. »Das sind schlechte Nachrichten. Ihr könnt doch sicher eine neue besorgen?«
Hemeling schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein. Der Kaiser ist unterwegs und schlägt sich mit den Holsteinern herum. Ich habe alles versucht, doch ohne Erfolg. Mehrere Kuriere sind auf dem Weg, doch ich bezweifele, dass sie ihn finden und rechtzeitig zurück sind. Holstein ist groß.« Er seufzte. »Wenn nur die Büttel nicht so unfähig wären. Aber es nützt nichts, wir müssen einfach die alte wiederfinden, koste es, was es wolle.«
»Was sollen wir auf das Wappen bringen, wenn nicht die Kunde von unserer Unabhängigkeit?« Anna hoffte, dass Hemeling noch etwas in Reserve hatte.
»Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht und bin im Moment ratlos. Dennoch möchte ich, dass ihr mit der Arbeit fortfahrt wie geplant.«
»Das werden wir«, versicherte sie, doch ein ungutes Gefühl blieb.
***
Anna schlüpfte wieder in ihr blaues Sonntagskleid, das sie bereits am Morgen zur Kirche angehabt hatte. Sie flocht die Haare zu einem Zopf, den sie geübt unter der Haube verschwinden ließ. Nachdem sie die Schuhe gebunden hatte, ging sie ans Fenster und sah auf die wenig belebte Gasse hinunter.
Wie schon öfter in letzter Zeit wurde ihr schwindelig, und sie musste sich am Stuhl festhalten. Der Anflug verging jedoch ebenso schnell, wie er gekommen war. Erleichtert atmete sie auf und sah mit verschränkten Armen wieder hinaus.
Heute war es so weit, sie hatten ihre Audienz beim Erzbischof. War es falsch, was sie vorhatte? Sie wusste, dass sie Claas liebte, und wenn er sie auch nicht mit der Bademagd betrogen hatte, so war es dennoch sehr wahrscheinlich, dass Gudrun auch ihm Informationen entlockt und weiterverkauft hatte. Es blieb dabei: Sie konnte nicht mit einem Mann verheiratet sein, der eine Teilschuld am Tod ihres Vaters trug.
Mit einem Paket unter dem Arm eilte ein junges Mädchen die Gasse hinunter. Dabei musste sie der Gräfin ausweichen, die, von Hundegebell gejagt, zwischen zwei Häusern hervorschoss und auf die andere Straßenseite preschte. Das Mädchen drohte mit der Faust, rief etwas hinter der Katze her und verschwand dann aus Annas Sicht. Für die Gräfin war die Stadt ebenfalls eine Umstellung. Es gab viele andere Katzen, gegen die sie sich hier behaupten musste, zudem noch eine Menge Hunde und Menschen, die ihr nicht alle zugetan waren.
Anna seufzte, und ihre Gedanken wanderten wieder zur bevorstehenden Audienz zurück.
Was würde das Leben nach der Aufhebung dieser Ehe für sie bereithalten? Heiraten würde sie nie mehr können, doch auch ohne Ehemann gab es Möglichkeiten, sich einen Platz in der Welt zu schaffen. Falls sie das Geld für die Figur bekämen, konnten sie ihrem Onkel beweisen, dass es auch ohne eine Ehe gehen würde. Vielleicht würden sie dann einige Handwerker einstellen und kleine Aufträge von der Zunft erhalten. Wenn das nicht möglich war, gab es auch noch die Zünfte der Näherinnen und Zuckerbäckerinnen, die immer nach arbeitswilligen Frauen suchten. Der letzte Ausweg würde der Beginenhof sein, in dem unverheiratete oder verwitwete Frauen miteinander lebten und arbeiteten. Darüber hinaus bliebe ihr nur noch, in ein Kloster gehen, doch dieser Gedanke behagte ihr am wenigsten.
Die Glocke vom Dom schlug zur Hora Sexta. Es wurde Zeit, dass sie sich auf den Weg zum Erzbischof machten.
Als sie von einem älteren Kleriker in den großen Raum geführt wurden, saß seine Exzellenz, der Erzbischof, auf einem gewaltigen Stuhl. Anna hatte ihn schon einige Male in der Kirche gesehen und ihn als imposante Erscheinung in Erinnerung. Heute wirkte er blass, eingesunken, und er hatte viel von seiner Fülle verloren. Sie wusste bereits, dass er krank war, doch so dramatisch hatte sie es sich nicht vorgestellt. Neben ihm stand Heinrich und nickte Anna und Claas zu. Der Kleriker, der sie ins Zimmer geführt hatte, stellte sie dem Erzbischof vor und zog sich dann diskret zurück.
»Nun, ich hörte, dass ihr eine Annullierung eurer Ehe wünscht, ist das richtig? Das ist ein sehr ungewöhnliches Ansinnen. Nur in ganz schwerwiegenden Fällen wird die Kirche dem zustimmen. Seid euch dessen bewusst. Meistens treten die Eheleute nicht zusammen vor mich und sie sind nicht selten uneins. Doch euer Ansinnen hat mich neugierig gemacht. Wie schwer dieser Schritt ist, sollte euch bewusst sein.«
»Ja, Euer Exzellenz«, sagte Anna, und Claas nickte
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