Rolandsrache
etwas beruhigt hatte. Ihre Stimme klang heiser, überschlug sich, doch er hatte sie gehört und war mit ein paar Sätzen bei ihr.
»Was ist los?« Besorgt starrte er erst sie, dann das offene Haus an. Anna stützte sich auf seinen Arm und deutete in den hinteren Bereich des Hauses.
»Sie … ist tot!«
Claas erschrak und stürzte hinein. Unter seinen Füßen knirschte das Holz der alten Dielen. Er starrte in den hinteren Raum, und Anna konnte sehen, dass es ihm ebenso erging wie ihr. Er hielt sich seinen Umhang vor die Nase und ließ die Schultern sinken. Eine kleine Katze kam torkelnd aus dem Zimmer und strich ihm um die Beine. Er bückte sich und nahm das abgemagerte Tier beherzt auf den Arm. Er warf noch einen letzten Blick auf das Geschehene und schloss den Raum wieder.
»Wir müssen die Büttel holen.«
»Oh, großer Gott. Es ist so furchtbar.« Anna war fassungslos und zitterte am ganzen Körper. Noch immer sah sie die Tote, die ihr irgendwie bekannt vorkam, vor ihrem inneren Auge.
»Es tut mir leid, dass du so etwas sehen musstest.« Claas strich ihr tröstend über die Wange. »Und die hier sollten wir mitnehmen.« Er hob das dünne Tier etwas höher und sah unter seinen Bauch. »Er braucht dringend etwas zu fressen, sonst lebt er nicht mehr lange. Ist leicht wie eine Feder.«
Er reichte Anna den kleinen Kater, der etwa im Alter der Gräfin war. Fürsorglich versteckte sie ihn unter ihrem warmen Umhang und vernahm ein leises Schnurren, als sie ihn behutsam an sich drückte. Dann machten sie sich auf den Weg zum Wachhaus.
»Hat denn niemand bemerkt, dass sie nicht da ist?«, fragte Anna auf dem Weg.
Claas seufzte leise. »Der Nachbar meinte, dass sie des Öfteren eine Zeit lang nicht nach Hause kommt und bei irgendwelchen Männern verweilt. Auch im Badehaus ist es wohl nicht ungewöhnlich, dass sie mehrere Tage wegbleibt, und Verwandte gibt es keine.«
»Wer könnte es getan haben?«
»Vielleicht einer ihrer Freier.«
Bei dem Gedanken, sich fremden Männern hinzugeben, lief es Anna kalt den Rücken hinunter.
»Geht es dir wieder etwas besser?«
Sie schüttelte den Kopf. Zärtlich legte er seinen Arm um ihre Schulter, und sie ließ ihn gewähren, denn es tat ihr gut, seine Nähe zu spüren.
Im Wachhaus nahm man ihren Fund mit finsteren Mienen auf. Zwei der Büttel machten sich sofort auf den Weg zu Gudruns Haus, während der Büttel Christian sich genau erklären ließ, was sie vorgefunden hatten. Als sie endlich gehen durften, brachten sie den Kater zu sich nach Hause, wo sie ihn mit etwas Hühnchen und einer Schüssel Milch versorgten. Beides verzehrte er gierig.
»Thea, ich hoffe, es ist dir recht, wenn ich den kleinen Kater in dein Zimmer bringe. Ehe er nicht zu Kräften gekommen ist, wäre er nur ein leichtes Opfer für unsere kampflustige Gräfin.«
»Natürlich, so habe ich wenigstens einen anständigen Fußwärmer.« Thea versuchte zu lächeln, denn alle im Haus waren über den grausigen Fund, den Anna und Claas gemacht hatten, schockiert, und es war recht still im Haus an diesem Nachmittag. Selbst die Gräfin zog es vor, neben der Feuerstelle zu schlafen statt wie gewöhnlich auf Annas Schoß.
Claas schlug vor, am nächsten Sonntag nach den Kumpanen vom Narbigen Georg zu suchen.
»Ja. Mir zittern noch immer die Knie, und auch du siehst sehr blass aus«, stellte Anna besorgt fest.
»Mir geht es gut, bin nur etwas müde.«
»Dann schlaf dich einmal gründlich aus, du hast es nötig, und ich werde dich nicht stören.«
»Das tust du nicht.« In seinen Augen lag Zärtlichkeit, und Anna wurde warm ums Herz.
Es klopfte, und Thea öffnete dem Büttel Simon die Tür.
»Simon.« Claas erhob sich und gab ihm die Hand.
»Ich kannte sie …«, begann Simon mit ernster Miene und setzte sich auf einen Hocker ans Feuer. »… war ein nettes, aber liederliches Weib. Das hat sie jetzt von ihrer Sündhaftigkeit.«
Anna empfand die Worte als sehr hart. Wollte Simon damit andeuten, dass Gudrun den Tod verdient hatte? »Weiß man schon, woran sie gestorben ist?«
»Wohl mit einem Kerzenleuchter erschlagen. Der Mörder muss von Sinnen gewesen sein.«
»Es ist schrecklich, was für Sachen in der letzten Zeit in Bremen passieren.« In Annas Worten schwang ein Vorwurf mit, doch Simon schien es nicht zu bemerken.
»Schlimmer als in manch einem Sommer. Wenigstens kann Narben-Georg nichts mehr anstellen.«
»Aber auch nichts mehr verraten.« Claas setzte sich.
»Warum hat eigentlich niemand Meldung
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