Rolf Torring 064 - Der Mörder von Madras
Holz und offenbar noch nicht alt. Vielleicht hatte der Bewohner des Palastes diesen Gang erst kürzlich entdeckt und für seine Zwecke dienstbar gemacht.
„Halt," rief jetzt der Inder hinter uns, „warten Sie! Jetzt müssen Mala und Dunba vorangehen, damit Sie oben keine Unvorsichtigkeit begehen. Am Ende der Treppe bleiben Sie stehen und schalten Ihre Lampen aus."
„Geht voran," sagte er dann in Hindu, — und sofort zwängten sich zwei seiner Tiger an uns vorbei und kletterten langsam die Treppe empor. Dadurch war uns allerdings jede Möglichkeit eines überraschenden Fluchtversuches genommen.
Ich hatte, als ich die Treppe erblickte, blitzschnell den Gedanken gehabt, daß wir oben vielleicht eine Falltür hätten zuwerfen und verriegeln können, dann wäre unser Überwältiger mit seinen Tigern machtlos gewesen, denn er hätte den Gang zurücklaufen müssen, und unterdessen hätten wir Madras bereits erreichen können.
Aber dieser Inder schien mit allen Eventualitäten zu rechnen, das bewies das Vorausschicken der beiden Tiger. Ohne Waffen konnten wir gegen diese Bestien nichts unternehmen und mußten uns also seinen Befehlen fügen.
Als wir die Treppe emporgestiegen waren, sahen wir uns in einem kleinen Raum, der nicht den geringsten Einrichtungsgegenstand aufwies. Vor uns standen die beiden Tiger und blickten uns an.
„Licht aus!" rief der Inder dicht hinter uns scharf, und sofort schalteten wir die Lampen aus, denn bei diesem Ruf hatten die beiden Tiger vor uns ein kurzes, böses Fauchen ausgestoßen.
Der Inder mußte eine unheimliche Gewalt über seine Tiere besitzen, das hatte sich ja auch schon bei den Schlangen gezeigt. Zum Glück schien er nicht an die Fortnahme unserer Lampen zu denken, und behutsam schob ich die meine in die Tasche. An dem Ort, an den er uns bringen würde, gab es sicher keine Beleuchtung.
Ich merkte, daß auch Rolf sehr vorsichtige Bewegungen machte, konnte mir aber nicht erklären, was er tat, denn nur um die Lampe einzustecken, gebrauchte er zu lange Zeit.
Plötzlich wurde es vor uns hell. Eine schmale Türöffnung wurde sichtbar, durch die helles Mondlicht hereinfiel. In diesem hellen Raum stand ein Inder. Er war sehr groß und besaß sicher enorme Kräfte. Sein weißes Gewand ließ die rechte Schulter bis zur Hüfte frei, und ein weißer Turban war tief über den Kopf gezogen.
Aufmerksam spähte er nach allen Seiten, dann trat er zurück; ohne sich umzudrehen und uns sein Gesicht zu zeigen, verschwand er im Schatten der Hauswand und sagte:
„Es ist niemand zu sehen. Gehen Sie voran, meine Herren, aber drehen Sie sich nicht um, meine Tiger würden es übel nehmen."
Ziemlich hastig ging Rolf voran, aber plötzlich stolperte er über die Schwelle und fiel lang hin. Sofort schossen zwei mächtige Körper an mir vorbei, doch ein scharfer Ruf des Inders brachte den Ansturm der beiden Tiger zum Stehen.
Rolf erhob sich langsam, aber ohne sich umzudrehen, und sagte:
„Ich danke Ihnen, daß Sie die Tiger zurückgerufen haben."
„Aber bitte," entgegnete der Inder höflich, „das war ein Zwischenfall, an dem ja niemand Schuld trägt. Nun gehen Sie immer geradeaus, meine Herren. Dort hinten ist ein breiter Dschungelstreifen, den wir durchqueren. Wir haben es nicht allzuweit, aber trotzdem wird kein Mensch Sie finden."
Ich dachte an unseren Pongo und Maha. Wenn sie beide auf unserer Spur wären, dann könnte der Inder uns doch nicht so verstecken, daß sie uns nicht fänden. Aber die beiden treuen Gefährten wußten ja leider nichts von unserer Lage. Und sie konnten uns ja auch nicht finden, selbst wenn sie am nächsten Tag mit aller Energie suchen würden.
Das freie, mondbeschienene Feld überquerten wir in einer Viertelstunde, dann gelangten wir an den Rand des Dschungels. Ich hatte nicht erwartet, daß sich so nahe an der Stadt — wir waren höchstens fünf Kilometer entfernt — eine derartige Wildnis befinden würde, denn es schien völlig unmöglich, in dieses Gewirr von Dornen und Schlingpflanzen einzudringen.
Doch der Inder ließ uns erst eine Strecke von ungefähr fünfzig Metern nach links gehen, dann rief er „Halt" und sagte:
„Drängen Sie sich durch den Busch neben Ihnen, meine Herren. Sie gelangen dann auf einen Pfad, den wir weiter verfolgen müssen. Aber vergessen Sie nicht, daß meine Tiger hinter Ihnen sind. Gehen Sie den Pfad langsam
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