Rolf Torring 064 - Der Mörder von Madras
Tode ereilt worden sein?
Plötzlich ging mir durch den Kopf, was uns der Gouverneur am vergangenen Abend erzählt hatte von dem Geheimnisvollen, der ganz Madras in Furcht und Schrecken setzte, dem es auf rätselhafte Weise gelang, junge Mädchen und Frauen zu rauben, die nicht wiederzufinden waren. Schon seit sechs Wochen trieb dieser Unhold sein Wesen, und im ganzen waren ihm bisher schon sieben junge Engländerinnen zum Opfer gefallen.
„Der Mörder von Madras" hieß dieser geheimnisvolle Mensch, den die geschulte Polizei, die sofort nach den ersten Mädchenrauben alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, nicht entdecken konnte.
Sollten wir es mit diesem Menschen zu tun haben? Sollte der gellende Mädchenschrei von seinem neuesten Opfer stammen? Dann hatten wir allerdings keine Schonung zu erwarten.
Das bewies das Schicksal von vier Detektiven und zwei Polizisten, die sich verschworen hatten, diesen Unhold zur Strecke zu bringen. Sie waren mitten im elegantesten Europäerviertel tot aufgefunden worden, jeder mit einer furchtbaren Säbelwunde. Jedem war. der Hals durchschnitten. Die Toten waren, das sah man, an einer anderen Stelle getötet und in das Europäerviertel getragen und dort hingelegt worden.
Sollte Rolf auch von einem solchen Säbelhieb des Mörders getroffen sein? Dann war es allerdings möglich, daß er nicht mehr dazu gekommen war, einen Schuß abzugeben.
Eine entsetzliche Angst befiel mich bei diesem Gedanken, gleichzeitig aber auch eine unsinnige Wut.
Mit mir sollte dieser Mörder nicht so leichtes Spiel haben, ich würde meinen Freund rächen!
Vierzehn Schuß hatte ich in meinen Pistolen, so viele Gegner sollten daran glauben, ehe sie mich überwältigen konnten. Ich biß die Zähne zusammen, hob die Pistole und richtete den Schein meiner Lampe wieder auf den rechten Vorhang.
Doch da wäre mir vor Schreck meine Pistole beinahe entfallen. Diese Feinde hatte ich allerdings nicht erwartet, gegen sie nützte mir meine Pistole nichts! Und als ich instinktiv den Schein meiner Lampe zur linken Seite des Zimmers richtete, sah ich ein, daß ich völlig verloren war, — denn vor jedem Vorhang standen zwei mächtige Königstiger, die langsam zum Sprung auf mich ansetzten.
2. Kapitel. In Mörderhänden.
Schnell Hilfe rufen und einige Schüsse abfeuern, fuhr es mir blitzschnell durch den Sinn. Wenn ich auch rettungslos verloren war, denn die Bestien würden mich ja bestimmt in den nächsten Sekunden zerfetzt haben, so sollten doch Polizisten auf diesen Palast aufmerksam werden.
Schon öffnete ich den Mund zum Hilfeschrei, da erklang eine ruhige, kalte Stimme in gutem Englisch:
„Wenn Sie einen Schrei ausstoßen oder einen Schuß abgeben, sind Sie verloren. Meine Tiger lassen nicht mit sich spaßen. Lassen Sie Ihre Pistole fallen!"
So mußte Rolf ebenfalls überwältigt worden sein. Er hatte sich ins Unvermeidliche geschickt, aber mich hielt ein unbewußter Zwang davon zurück. Wenn ich aber auf die Bestien feuerte, dann würden sie vielleicht sekundenlang zurückschrecken, und in der Zwischenzeit könnte ich vielleicht durchs Fenster flüchten.
Doch als hätte mein Gegner diesen Gedanken erraten, rief er ein Kommando in der Hindusprache. „Paßt auf!"
Und sofort duckten sich die Tiger blitzschnell und schlossen die Augen halb, ein Zeichen, daß sie zum sofortigen Sprung bereit waren. Da fiel mir ein, daß ich unmöglich so schnell durch die engen Gitterstäbe schlüpfen konnte. Die Bestien hätten mich doch in Sekundenschnelle erreicht.
Ganz mechanisch öffneten sich da die Finger meiner rechten Hand, und meine Pistole fiel mit leichtem Aufschlag in den dicken Teppich.
„So ist es recht," sagte der Versteckte spöttisch. Ich konnte nicht herausfinden, wo er stand, denn seine Stimme schien von allen Seiten her zu tönen. „Gehen Sie jetzt durch den Vorhang zu Ihrer rechten Seite. Die Tiger verhalten sich ruhig, solange Sie keine verdächtige Bewegung machen. Wenn Sie den Vorhang zurückgeschlagen haben, schalten Sie sofort Ihre Lampe aus. Tun Sie es nicht, wird der nächste Tiger Sie anspringen. Vorwärts nun!"
Jetzt erst kam mir das Trostlose meiner Lage so recht zum Bewußtsein. Durch das Fortwerfen meiner Pistole hatte ich mich nun ganz in die Hände dieses Mannes gegeben, der seine Tiger benutzte, um den Eindringling zu überwältigen.
Vielleicht konnte
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