Rolf Torring 082 - Die Tempel-Tänzerin
Chancen haben. Den Raum in der Mitte rate ich nicht zu überqueren. Ich bin fest davon überzeugt, daß da Fallen auf uns lauern. Die Priester werden ihr kostbares Eigentum durch raffinierte Mittel zu schützen gewußt haben. Vielleicht ist das hier wirklich der gefährlichste aller Tempel, die wir bisher betreten haben."
Rolf sah sich im Räume noch einmal langsam um, dann fuhr er fort:
»Ich halte es für richtig, wenn wir uns trennen. Bleib du hier auf dem Steinblock sitzen, während ich die Buddha-Figur untersuche. So wird es am besten sein — für uns, für alle."
„Meinst du nicht, daß es genügt, Rolf, wenn ich mich in weitem Abstand von dir halte?" fragte ich, denn es war mir innerlich nicht recht, daß ich Rolf allein vielleicht in sein Verderben gehen lassen sollte, während ich untätig wartete, was sich wohl ereignen würde.
„Das ist vielleicht auch richtig, Hans. Aber ich befürchte, daß du dann mit ins Verderben gerissen wirst, wenn mir etwas zustoßen sollte. Aber gut, laß uns mit Abstand zusammenbleiben! Von deinem Sitz hier könntest du den ganzen Raum überblicken und mich auf eventuelle Gefahren aufmerksam machen, die ich aus der Nähe gar nicht bemerke."
„Du mußt bedenken, Rolf," wandte Ich ein, „daß Pongo und Gruber hinter uns verschwunden sind, ohne daß wir etwas gewahr wurden. Wenn ich zurückbleibe, kann ich auch von rückwärts überrumpelt werden, da ich ja meine ganze Aufmerksamkeit nach vorn auf dich lenken würde."
„Wie man es betrachtet — es ist richtig, es ist falsch. Dann komm mit! Aber halte fünf Meter Abstand! Du weißt aus Erfahrung, daß Falltüren in solchen alten Gebäuden manchmal eine kaum glaubhafte Größe haben."
„Natürlich, Rolf, die Erbauer der alten Tempel rechneten ja damit, daß Gegner in größeren Trupps eindringen könnten. Da mußten möglichst viele Menschen auf einmal verschwinden können, um die anderen abzuschrecken."
„Nur mit List und Überlegung können wir gegen unsere unsichtbaren Gegner etwas erreichen," war Rolfs feste Überzeugung. „Je länger wir zögern, um so nervöser werden sie jetzt. Vielleicht kommen sie sogar aus ihrer bisherigen Reserve heraus, durch die sie zweifellos im Vorteil waren."
„Da können wir unter Umständen noch lange hier sitzen," meinte ich. „Komm, wir wollen schon ..."
Die weiteren Worte erstarben mir im Munde. Rolf hatte recht gehabt. Durch unser anscheinend untätiges Warten hatten wir die versteckten Gegner verleitet, von sich aus den Angriff gegen uns einzuleiten.
4. Kapitel Naja bungarus
Eine Erscheinung war plötzlich aufgetaucht. Woher sie gekommen war, konnten wir nicht sagen. Es war möglich, daß sie aus einer Versenkung im Boden gekommen war. Sie befand sich schon in der Mitte des großen freien Raumes, der zwischen uns und dem Buddha-Bildnis lag.
Reglos lag die seltsame, zusammengesunkene Erscheinung da, zusammengekauert, von dichten, weißen Schleiern bedeckt. Ich richtete die Pistole auf sie.
Plötzlich erklang eine seltsame Musik, eintönig, schleppend und doch aufreizend. Mir klang die Musik ähnlich der, wie sie Schlangenbeschwörer ihren Tieren vorflöten. Sollten wir hier eine solche oder ähnliche Vorstellung zu sehen bekommen? Dann konnte es sich nur darum handeln, unsere Aufmerksamkeit abzulenken. Sicher drohte uns dann vom Rücken her die größte Gefahr. Ich beschloß, mich öfter umzuschauen.
Die zusammengekauerte Figur regte sich, wuchs langsam empor, streckte die schmalen, braunen Arme aus — da erkannte ich, daß ich eine der berühmten indischen Tempeltänzerinnen vor mir hatte.
Nur sie konnte es gewesen sein, die den braven Gruber erschreckt und mit einer bösen Vorahnung erfüllt hatte.
Als sie sich zu voller Größe aufgerichtet hatte, begann sie, vor uns einen seltsamen, bizarren Tanz aufzuführen. Mit geschmeidigen Bewegungen gab sie sich ganz dem Rhythmus und der Melodie der Musik hin. Vom ersten Augenblick an sah ich gefesselt zu.
Die Tänzerin war die beste, die ich bisher in Indien gesehen hatte. Schönheit und Geschmeidigkeit zeichneten ihre Bewegungen aus. Auch das Mädchen selbst war von einer eigenartigen, fast märchenhaften Schönheit. Sie bot ein Bild von bestrickender Anmut.
Die Musik, in der die Flötentöne vorherrschten, wurde immer lauter und wilder. Schneller und schneller wurden die Bewegungen der
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