Rolf Torring 084 - Der Geisterzug
Totenschädel starrte mich an.
Ich konnte verstehen, wie unheimlich der Zug auf die Eingeborenen der Stadt, ja, auch auf die Weißen wirken mußte. Die Schlucht war an sich schon verrufen. Jetzt mußte der Aberglaube besonders reiche Nahrung finden.
Neben mir peitschte ein Schuß auf. Rolf hatte die Pistole aus dem Gürtel gerissen und auf den letzten Reiter geschossen. Ich wußte genau, daß er bei der kurzen Entfernung nicht fehlschießen konnte. Aber seine Kugel hatte auf den Reiter absolut keine Wirkung.
Sekundenlang blickte uns der Totenschädel an. Dann wandte er sich ab. Der Kopf des Reiters senkte sich wieder. Unaufhaltsam brauste der Geisterzug auf den wunderbaren Pferden dem Gebirge entgegen.
Bald war der unheimliche Spuk verschwunden. Eine Staubwolke zeigte eine Zeitlang den Weg an, den er genommen hatte. Die gespenstischen Reiter schienen mitten im Vindhya-Gebirge verschwunden zu sein.
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Immer noch blickte ich in Richtung des Gebirges. Rolf neben mir schüttelte den Kopf. Ihm mochte es ähnlich gehen. Wir mußten scharf nachdenken, um vielleicht durch Überlegung herauszufinden, worum es sich hier handeln konnte.
Plötzlich lachte Rolf auf:
„Sehr nett gemacht. Ich bin gespannt, zu erfahren, warum die Leute immer die Schlucht hier aufsuchen. Ich wundere mich weiter, daß man sie nie sieht, wenn sie zurückkommen. Wir werden das Geheimnis herausfinden!"
2. Kapitel Eine gefährliche Untersuchung
„Rolf, das war schrecklich!" stieß ich hervor, von dem Eindruck noch ganz benommen. .Jetzt kann ich mir vorstellen, daß der Spuk selbst Männer mit starken Nerven angreift."
„Der Spuk wirkt gerade dadurch so unheimlich, weil er im hellsten Sonnenschein vor sich geht. Im fahlen Mondlicht ist die Welt an sich schon von so vielen Heimlichkeiten und Rätseln erfüllt, daß der Geisterzug verblassen würde, weil er in den Rahmen der Nacht paßt. Wenn die Bewohner von Indore Goethe gelesen hätten, würden sie vielleicht mit .Faust' sagen:
„Geheimnisvoll am lichten Tag
läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben.' Aber so müssen sie an Dämonen glauben, die in der Todesschlucht ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben."
Während ich zum fernen Gebirge blickte, stand Rolf schweigend da. Plötzlich sagte er aus tiefem Nachdenken heraus:
„Das Geheimnis kann nur darin liegen, daß es einen versteckten Zugang zur Todesschlucht gibt, auf dem die unheimlichen Reiter zurückkehren. Im Bericht des Polizeichefs Harriet ist nur gesagt, daß der Geisterzug dreimal am Tage die Schlucht verläßt. Kein Mensch hat den Zug zurückkommen sehen."
„Wo soll aber auf der nackten Ebene ein geheimer Zugang zur Schlucht sein?" fragte ich erstaunt. „Ist das nicht völlig unmöglich? Wenn es aber der Fall sein sollte, brauchten die geheimnisvollen Leute doch den Spuk nicht zu inszenieren. Sie machen doch dadurch nur alle Welt auf sich aufmerksam, statt ganz in der Stille in der Schlucht das zu treiben, was das Licht des Tages scheuen muß."
„Damit hast du recht," antwortete Rolf. „Ich rätsele auch hin und her. Einen besonderen Grund müssen die Leute ja haben, daß sie sich zeigen und dann heimlich zurückkehren. Uns bleibt nichts anderes übrig, als in die Schlucht vorzudringen. Es ist natürlich gefährlich, denn im Bericht von Harriet hieß es ja, daß schon mehrere Menschen tot in der Schlucht gefunden worden sind. Weiter schreibt Harriet, daß er mit seinen Leuten kehrtmachen mußte, als er die Schlucht untersuchen wollte. Wir müssen uns auch stets vor Augen halten, daß fünf Berufsdetektive spurlos verschwunden sind, als sie unternahmen, den Spuk aufzuklären."
„Schöne Aussichten!" meinte ich nicht ohne Galgenhumor. „Wir können es ja versuchen, ob wir in der Schlucht vorwärtskommen. Wollen wir da hineingehen, wo die Reiter hergekommen sind?"
„Ich schlage vor, ein Stück nach Norden hinaufzugehen und zu versuchen, in die Schlucht hineinzublicken. Was meinst du zu dem Gedanken, den ich vorhin hatte? Vielleicht bin ich schon auf der Spur, das Geheimnis der Todesschlucht erst einmal zu erklären. Wenn man viel gesehen hat, denkt man an manches. Das wäre immerhin eine Erklärung für den seltsamen Tod der Reisenden wie für die Vermummung der Reiter. Sehr raffiniert!"
„Was erzählst du denn da alles?" fragte ich. „Meinst du,
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