Rolf Torring 084 - Der Geisterzug
vergangen. Hinter uns war Gefahr. Anders war es nicht zu erklären, wenn wirklich der Inder schon vom Palast aus unseren Weg verfolgt hatte. Leider waren wir durch viele Berichte in allen indischen Zeitungen schon zu bekannt geworden.
Vielleicht brauchten wir uns gar nicht die Mühe zu nehmen, die Leute zu suchen. Vielleicht würden sie uns suchen, um zu verhindern, daß wir uns eingehend mit ihnen beschäftigten.
Wir schlenderten weiter, bis wir den Südrand des Parkes erreicht hatten. Er wurde von dichten Büschen gebildet. An ihnen führte der Weg entlang.
Hinter der Buschreihe mußte die weite Ebene liegen, die uns noch vom Vindhya-Gebirge und von der Todesschlucht trennte.
Der Weg machte eine Biegung und lief dann parallel zu den abschließenden Büschen entlang. Als wir die Biegung hinter uns gelassen hatten, »sagte Rolf:
„Schnell, hier zwischen den beiden Büschen hindurch! Da verliert uns der Inder aus den Augen."
Gewandt bog Rolf die Zweige der Hibiskus-Sträu-cher auseinander. Wir schlüpften in die entstandene Öffnung hinein und arbeiteten uns im Buschwerk weiter vor. Trotz der Schnelligkeit waren wir sehr vorsichtig und glaubten, keine Spuren zu hinterlassen, aus denen der Inder hätte ersehen können, welchen Weg wir gewählt hatten.
Hinter dem Buschstreifen lag die weite Ebene vor uns. An ihrem südlichen Rande erhob sich das Vindhya-Gebirge. Die Ausläufer mochten schätzungsweise sechs Kilometer entfernt sein, also mußte die Todesschlucht genau in der Mitte der Ebene liegen. Die Felsblöcke, von denen Sir John Barrington gesprochen hatte, sahen wir als kleine, dunkle Punkte.
„Wir werden erst etwas nach links gehen," meinte Rolf, „dann wollen wir unmittelbar auf die Schlucht losgehen. Erst müssen wir uns überzeugen, ob der Inder uns noch folgt."
Wir liefen fünfzig Meter nach links, dicht an den Büschen entlang, blieben stehen und warteten. Der. Verfolger zeigte sich nicht.
Nach einer ganzen Weile sagte Rolf:
„Laß uns auf die Schlucht zugehen"
Leicht und unbeschwerlich war der Weg nicht. Unbarmherzig brannte die Sonne vom Himmel hernieder auf die kahle, felsige Ebene. Die Steine strahlten eine unangenehme Hitze aus. Rolf schlug zudem ein sehr forsches Tempo an. Im war bald völlig in Schweiß gebadet, obwohl mir Gewaltmärsche dieser Art auf glühendheißer Ebene oder im dichten Urwald nichts Ungewohntes waren.
Von Zeit zu Zeit drehte sich Rolf, der uns vorausschritt, um und rief:
„Der Inder steht zwischen den Büschen. Ich habe ihn genau gesehen. Im Augenblick kann er uns nicht gefährlich werden. Auf dem Rückweg müssen wir uns sehr in acht nehmen. Wir wollen noch etwas schneller gehen. Vielleicht gelingt es uns, so nahe heranzukommen, daß wir den Geisterzug gerade aus der Schlucht vorreiten sehen.
Schräg von links näherten wir uns der Schlucht, da wir nach Verlassen des Vindhya-Parkes zunächst ein kleines Stück nach Osten gegangen waren. Auf fünfhundert Meter waren wir an die Schlucht, die eine Länge von dreihundert Metern haben mochte, herangekommen — sie mochte übrigens etwa dreißig Meter breit sein —, da sagte Rolf:
„Laß uns nicht unmittelbar auf die Schlucht zugehen I Wir werden so weit nach Süden ausbiegen, daß wir an dem Südende der Schlucht vorbeikommen, dann gehen wir in westlicher Richtung auf sie zu."
Ich war schon froh gewesen, daß der Gewaltmarsch bald ein Ende haben sollte, jetzt lief Rolf womöglich noch rascher.
Trotz des anstrengenden Laufes behielten wir die Schlucht immer im Auge. Aber dort rührte sich nichts.
Schließlich waren wir in gleicher Höhe mit dem Südende. Da schwenkte Rolf nach Westen um und nahm Richtung auf die Schlucht.
„Schade, wir scheinen zu spät gekommen zu sein," meinte er.
Wir waren nur noch dreißig Meter von der Schlucht entfernt, als wir erschrocken stehenblieben. Ein dumpfes Getrappel erklang. Staub wirbelte aus der Schlucht hervor. Dann jagte es an uns vorbei:
Ein langer Reiterzug auf prächtigen Pferden.
Die Reiter waren in indische Gewänder gekleidet. Sie trugen weiße und grüne Turbane. Die Köpfe hielten sie tief gesenkt und halb abgewendet. Die Gesichter konnten wir nicht sehen.
Vierzehn Reiter zählte ich. Als der letzte die Schlucht verlassen hatte, hob er den Kopf und blickte uns an. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ein grinsender
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