Rolf Torring 119 - Doktor Tjus Karawane
darauf wurde eine Klappe in der Tür geöffnet, ein chinesischer Diener fragte nach unserem Begehr.
„Wir hätten gern Herrn Doktor Tju gesprochen. Melde uns deinem Herrn!" sagte Rolf.
„Herr nicht zu Haus," sagte der Chinese höflich.
„Auch nicht, wenn wir Grüße von Herrn Doktor Stapley zu bestellen haben?" fragte Rolf sofort.
„Doktor Stapley gut sein, ich werde Herrn fragen, ob zu Hause sein," war die Antwort des Dieners.
Fast zehn Minuten vergingen, ehe sich die Klappe wieder öffnete und das Gesicht des Dieners erschien. Er lachte uns an und sagte:
„Herr Doktor Tju soeben nach Hause gekommen, er will die Herren empfangen."
Dabei öffnete er schon die Tür und lud uns mit einer Handbewegung ein, näherzutreten.
Wir kamen in eine nach chinesischem Geschmack vornehm eingerichtete Vorhalle. Dort warteten wir, bis der Diener hinter uns die Tür fest verschlossen hatte und an uns vorbei tiefer ins Haus hineinging. Wir folgten ihm und wurden über eine Treppe in das erste Stockwerk geführt, wo der Chinese eine zu einem im europäischen Stil eingerichteten Herrenzimmer führende Tür öffnete. Das Zimmer, das wir betraten, war leer. Wieder mußten wir ein paar Minuten warten. Plötzlich wurde ein Vorhang zurückgeschlagen, ein würdig aussehender Chinese, der eine goldumrandete Brille trug, erschien.
Es war Doktor Tju. Bei der gegenseitigen Vorstellung nannte Rolf nicht unsere richtigen Namen. Der Doktor bat uns, Platz zu nehmen. Rolf richtete die Grüße aus, die Doktor Stapley uns aufgetragen hatte oder — wenn man genau gehen will —, die er uns nie aufgetragen hatte.
„Doktor Stapley?" fragte Doktor Tju. „Ich entsinne mich, den Kollegen früher einmal kennen gelernt zu haben. Er ist Amerikaner, nicht wahr?"
„Ganz recht," nickte Rolf. „Wir waren vor kurzem Gäste auf seiner Insel östlich von Formosa. Als er hörte, daß wir nach Fu Tschou wollten, bat er uns, Sie zu besuchen und Ihnen Grüße zu bestellen."
Doktor Tju schaute uns merkwürdig durchdringend an, endlich sagte er nach einer Pause zweifelnd:
„Ich verstehe nicht recht, wie Herr Doktor Stapley dazu kommt, mir Grüße zu bestellen. Wir haben uns sehr lange nicht gesehen. Haben Sie von mir gesprochen?"
„Ja, Herr Doktor. Das kam so: mein Freund und ich erzählten von unseren Reiseplänen ins Innere Chinas. Da meinte Doktor Stapley, daß wir uns am besten an Sie als einen gründlichen Kenner des Landes wenden sollten, um ein paar gute Ratschläge zu erhalten. Deshalb der Gruß, der uns als Empfehlung dienen sollte."
„Jetzt verstehe ich, meine Herren," lächelte Doktor Tju, „Sie wollen China bereisen, und ich soll Ihnen eine geeignete Reiseroute vorschlagen. Selbstverständlich werde ich Sie da gut beraten können. Doktor Stapley hat an den richtigen Mann gedacht. Wohin wollen Sie denn von hier aus?"
„So ganz genau wissen wir das eigentlich selbst noch nicht, Herr Doktor. Wir hatten die Absicht, quer durch China nach Tibet zu reisen."
„Nach Tibet, meine Herren, ist ein weiter Weg. Wie wäre es, wenn Sie zuerst von hier aus nach Kiu kiang gehen würden? Da könnten Sie sogar mit meiner Karawane reisen, die übermorgen von hier aufbricht. Es reist sich gut mit Karawanen, und Sie bekommen viel dabei zu sehen. Ich würde mich freuen, wenn Sie die Gelegenheit wahrnehmen würden."
Doktor Tjus Karawane — da war sie, und Doktor Tju bot uns selbst an, mit ihr zu reisen!
Hoffentlich nimmt Rolf das Anerbieten an, dachte ich.
„Ihr Angebot ist außerordentlich freundlich," meinte Rolf ausweichend, „aber wir möchten Sie nicht inkommodieren. Es würde uns schon genügen, wenn Sie uns ein paar gute Ratschläge geben würden."
„Sie können sich meiner Karawane getrost anschließen, meine Herren," entgegnete Doktor Tju. „Mir wäre es — offen gestanden — sogar recht lieb, da ich diesmal nicht selbst mitreisen kann. Der Weg führt über das Gebirge, in denen noch immer ab und zu räuberische Horden ihr Unwesen treiben. Wenn ich Sie bei meiner Karawane weiß, wäre ich etwas beruhigter. Nehmen Sie bitte mein Angebot an und reisen Sie übermorgen mit! Kosten entstehen dadurch nicht."
Rolf zögerte absichtlich noch eine Weile, es kam ihm — wie mir schien — darauf an, sich überreden zu lassen. Ich suchte in den Augen des Doktors seine wirklichen Absichten, aber der Chinese hatte sich
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