Rollende Steine
schüttelte den Kopf.
»Ich meine, war Wolf auf der richtigen Seite?« erkundigte sich das
Mädchen.
»Schwer zu sagen«, antwortete der Vogel. »Er gehörte zu den Wasung.
Die anderen waren Bergunder. Der Konflikt begann vor einigen Jahr-
hunderten, als ein Bergunder eine Wasung-Frau verschleppte. Oder um-
gekehrt. Wie dem auch sei: Die andere Seite beschloß, das Dorf an-
zugreifen. Es kam zu einem kleinen Massaker. Anschließend beschlossen
die anderen, das andere Dorf anzugreifen, wo es ebenfal s zu einem Massaker kam. Nach diesen Zwischenfäl en waren beide Seiten ein wenig ver-
stimmt.«
»Na schön«, murmelte Susanne. »Wer ist der nächste?«
QUIEK.
Der Rattentod landete auf dem Sattel, beugte sich zur Tasche herunter
und zog nicht ohne Mühe ein Stundenglas daraus hervor. Susanne blick-
te auf das Etikett.
Die Aufschrift lautete: Imp y Celyn.
Susanne hatte das Gefühl, nach hinten zu fal en.
»Ich kenne den Namen!« entfuhr es ihr.
QUIEK.
»Aus irgendeinem Grund erinnere ich mich daran«, sagte Susanne. »Ein
wichtiger Name. Er ist wichtig…«
Der Mond hing wie ein großer Felsbal über der Wüste von Klatsch.
Eigentlich gab die Wüste nicht viel her; sie verdiente es kaum, von ei-
nem solchen Mond geziert zu werden.
Sie gehörte zu dem Ödland, das immer trockener und heißer wurde
und sowohl den Großen Nef als auch den Dehydrierten Ozean säumte.
Kaum jemand hätte einen Gedanken daran verschwendet, wären nicht
Leute, die in vieler Hinsicht Herrn Clete von der Musikergilde ähnelten,
auf den Gedanken gekommen, eine Karte von diesem Gebiet zu zeich-
nen und sie an der Stelle mit einer punktierten Linie zu versehen, wo sich
die Grenze zwischen Klatsch und Herscheba erstreckte.
Bis dahin hatten die D’regs – fröhliche, kriegerische Nomaden – die
Wüste ganz nach Belieben durchstreift. Die Existenz der Linie sorgte
dafür, daß sie mal klatschianische D’regs, mal herschebianische D’regs
waren, mit al en Rechten, die entsprechenden Staatsbürgern zustanden,
vor al em dem Recht, möglichst viele Steuern zu bezahlen und eingezo-
gen zu werden, um an Feldzügen gegen ihnen völlig unbekannte Feinde
teilzunehmen. Wegen der punktierten Linie lag Klatsch im ständigen
Krieg mit Herscheba und den D’regs, während Herscheba gegen die
D’regs und Klatsch Krieg führte; die D’regs kämpften gegen alle anderen
und gegen sich selbst, wobei sie viel Spaß hatten, denn das D’reg-Wort
für »Fremder« bedeutete auch »Zielscheibe«.
Das Fort war ein Vermächtnis der punktierten Linie.
Es bildete ein dunkles Rechteck im heißen silbernen Sand. Einige mü-
hevolle Akkordeontöne lösten sich davon – jemand wollte eine Melodie
spielen, stieß dabei jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten, die ihn veran-
laßten, nach einigen wenigen Takten von vorn zu beginnen.
Jemand klopfte an die Tür.
Nach einer Weile kratzte es auf der anderen Seite, und eine Klappe
öffnete sich.
»Ja, Offendi?«
IST DIES DIE KLATSCHIANISCHE FREMDENLEGION?
Das Gesicht in der Klappe wirkte verdutzt.
»Ah«, sagte es. »Eine schwierige Frage. Warte einen Augenblick.« Die
Klappe schloß sich. Stimmen flüsterten hinter der Tür. Die Klappe öff-
nete sich.
»Ja, allem Anschein nach sind wir die… die… WIE HIESS DAS
NOCH? O JA, JETZT HAB ICH’S… die klatschianische Fremdenlegi-
on. Was willst du?«
ICH MÖCHTE MITGLIED WERDEN.
»Mitglied? In was?«
IN DER KLATSCHIANISCHEN FREMDENLEGION.
»Ach? Und wo ist die?«
Wieder wurde geflüstert.
»Oh. Natürlich. Entschuldige. Wir sind das.«
Die Tür schwang auf, und der Besucher trat ein. Ein Legionär mit
Korporalstreifen näherte sich ihm.
»Du mußt dich beim…« Seine Augen trübten sich ein wenig. »Ein gro-
ßer Bursche, mit drei Streifen… der Name liegt mir auf der Zunge…«
MEINST DU DEN FELDWEBEL?
»Ja, genau«, sagte der Korporal erleichtert. »Bei ihm mußt du dich mel-
den. Wie heißt du, Soldat?«
ÄH…
»Du bist nicht verpflichtet, deinen Namen zu nennen. Darum geht’s ja
gerade in der…«
KLATSCHIANISCHEN FREMDENLEGION?
»Ja. Die Leute kommen zu uns, um… hat was mit dem Geist zu tun…
ich meine, wenn man nicht mehr weiß, was passiert ist und so…«
UM ZU VERGESSEN?
»Genau. Ich bin…« Verwirrung zeichnete sich in den Zügen des Man-
nes ab. »Moment mal…«
Er sah auf seinen Ärmel. »Korporal…« Er zögerte erneut, und ein
Schatten von Besorgnis huschte über sein Gesicht.
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