Rom: Band 1
auffallend, daß der Kampf um so lebhafter und erfolgreicher ward, wenn er in einem Lande stattfand, das dem Christentum noch nicht völlig unterworfen war. So zum Beispiel bei den Nationen, wo der Katholizismus dem Protestantismus gegenüberstand. Dort kämpften die Priester mit außerordentlicher Leidenschaft für ihr Leben und machten den Pastoren den Besitz des Volkes durch kühne Handstreiche, durch verwegen demokratische Theorien streitig. In Deutschland, dem klassischen Lande des Sozialismus, war Bischof Ketteler einer der ersten, der davon sprach, den Reichen Steuern aufzulegen; und später schuf er eine ausgebreitete Agitation, welche heute mit Hilfe der Vereinigungen und zahlreicher Zeitungen von dem ganzen Klerus geleitet wird. In der Schweiz verteidigte Msgr. Mermillod die Armen so energisch, daß die dortigen Bischöfe jetzt fast gemeinsame Sache mit den demokratischen Sozialisten machen; zweifellos hoffen sie, sie am Tage der Teilung zu bekehren. In England, wo der Sozialismus so langsam durchdringt, errang Kardinal Manning bedeutende Siege; er ergriff während eines gewaltigen Strikes die Partei der Arbeiter und veranlaßte eine volkstümliche Bewegung, die durch häufige Bekehrungen gekennzeichnet ward. Vor allem aber triumphirte der katholische Sozialismus in Amerika, in den Vereinigten Staaten, in dieser rein demokratischen Umgebung, welche Bischöfe wie Msgr. Ireland zwang, sich an die Spitze der Forderungen der Arbeiter zu stellen. Dort scheint eine ganz neue Kirche im Keimen begriffen zu sein; sie ist noch unklar, aber überquellend vor Kraft und von ungeheurer Hoffnung geschwellt, als stehe sie schon vor der Morgendämmerung des verjüngten Christentums. Wenn man dann zu Oesterreich und Belgien, katholischen Nationen, übergeht, so sieht man, daß in dem ersteren der katholische Sozialismus sich mit dem Antisemitismus vermischt, und daß er in dem letzteren keine ausgesprochene Färbung besitzt. Hingegen stockt und verschwindet sogar alle Bewegung, so wie man nach Spanien und Italien, diesen alten Ländern des Glaubens, gelangt. Spanien ist ganz den Gewaltthaten der Revolutionäre überantwortet; seine störrischen Bischöfe begnügen sich damit, die Ungläubigen mit dem Bannstrahl zu treffen, wie in den Tagen der Inquisition. Italien wird von der Tradition, die eine Initiative unmöglich macht, zum Schweigen und Respekt zwingt, rings um den Heiligen Stuhl immobilisirt. In Frankreich jedoch wurde der Kampf lebhaft weiter geführt, aber es war hauptsächlich ein Ideenkampf; der Krieg richtete sich mit einem Worte gegen die Revolution, und es schien, daß man nur die einstige Organisation der monarchischen Zeiten wieder herzustellen brauche, um ins goldene Zeitalter zurückzukehren. So ward die Frage der Arbeiterkorporationen die Angelegenheit, um die sich alles drehte, als sei sie das Panacee für alle Uebel der Arbeiter. Aber man war weit davon entfernt, sich zu einigen: diejenigen Katholiken, welche die Einmischung des Staates zurückwiesen, welche eine rein moralische Aktion priesen, forderten freie Korporationen; die anderen hingegen, die Jungen, Ungeduldigen, zum Handeln Entschlossenen verlangten obligatorische, vom Staat anerkannte und geschützte Korporationen mit gehörigem Kapital. Besonders der Vicomte Philibert de la Choue hatte mit dem Wort und mit der Feder einen eifrigen Feldzug zu Gunsten dieser obligatorischen Korporationen geführt. Zu seinem großen Kummer hatte er bisher den Papst noch nicht bestimmen können, sich offen darüber auszusprechen, ob die Korporationen offene oder geschlossene sein müßten. Seiner Ansicht nach hing das Schicksal der Gesellschaft, die friedliche Lösung der sozialen Frage oder die furchtbare, alles mit sich fortreißende Katastrophe nur davon ab. Im Grunde war der Vicomte, obwohl er es nicht zugestehen wollte, schließlich beim Staatsozialismus angelangt. Trotz der mangelnden Einigkeit erhielt sich jedoch die Agitation; es wurden Versuche gemacht, die wenig glücklich ausfielen, Konsumvereine, Arbeiterwohnungsgesellschaften, Volksbanken gegründet, lauter Versuche einer mehr oder minder verhüllten Rückkehr zu dem einstigen christlichen Gemeinwesen. Indessen wuchs die Hoffnung der streitbaren katholischen Partei von Tag zu Tag, inmitten der Verwirrung der heutigen Zeit, inmitten der Unruhe der Geister und der politischen Schwierigkeiten, die das Land erschüttern, immer höher, bis zu der blinden Gewißheit, daß die Herrschaft über die Welt bald
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