Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
Vom Netzwerk:
allen schien ihm das reinste Christentum zu brennen. Aber er kam, bebend vor Begeisterung und Mut; er sehnte sich, zu den Füßen des Papstes zu liegen, sich unter seinen erhabenen Schutz zu stellen und ihm zu sagen, daß jede Zeile von seinem Geiste inspirirt sei, daß er nichts gewollt habe als den Triumph seiner Politik. War es möglich, ein Buch zu verdammen, in dem er in höchster Aufrichtigkeit Leo XIII. zu verherrlichen glaubte, indem er ihm bei dem Werk christlicher Einigkeit und allgemeinen Friedens half?
    Noch einen Augenblick blieb Pierre bei der Brüstung stehen. Beinahe eine Stunde schon stand er da, denn er konnte sich an der Grüße Roms nicht satt sehen, das er gleich mit allem Unbekannten, was es ihm verbarg, hatte bemeistern mögen. O, es erfassen, erkennen, sofort die Wahrheit erfahren, die er von ihm hören wollte! Es war ein neues Experiment und zwar ein ernsteres, entscheidenderes als Lourdes; er fühlte, daß er entweder gestärkt oder für ewig zerschmettert daraus hervorgehen würde. Er forderte nicht mehr den absoluten, naiven Kinderglauben, sondern den höheren, intellektuellen, der, auf dem Bedürfnis der Gewißheit basirend, sich über alle Riten und Symbole erhob und nur an dem möglichst großen Glück der Menschheit arbeitete. Das Herz schlug ihm bis in die Kehle: wie würde die Antwort Roms lauten? Die Sonne war höher gestiegen; die oberen Stadtteile zeichneten sich kräftiger von dem feurigen Hintergrund ab. In der Ferne nahmen die Hügel goldene und purpurne Tinten an, während die zunächst befindlichen Fassaden klar und deutlich mit ihren Tausenden von Fenstern hervortraten. Aber der Morgennebel hatte sich noch nicht verzogen; leichte Schleier schienen aus den tiefer gelegenen Straßen aufzusteigen und umhüllten die Höhen, wo sie sich dann in dem feurigen, endlosen blauen Himmel verflüchtigten. Einen Augenblick glaubte er, daß der Palatin verschwunden sei, denn er konnte kaum den dunklen Saum seiner Cypressen entdecken, gleichsam, als werde er von dem Staube seiner Ruinen verborgen. Vornehmlich der Quirinal war nicht zu sehen; der Palast des Königs mit seiner unbedeutenden, flachen und niedrigen Fassade schien sich in den Nebel zurückgezogen zu haben und sah aus der Ferne so vage aus, daß er ihn nicht mehr unterscheiden konnte. Links aber, über jenen Bäumen, ragte der Dom von Sankt Peter noch höher in das klare, helle Gold der Sonne hinein – nahm den ganzen Himmel ein, beherrschte die ganze Stadt.
    Ach, mit welch unbegrenzter Hoffnung erfüllte ihn dieser erste Anblick Roms – des morgenfrischen Roms, dessen neue Teile er im Fieber der Ankunft gar nicht bemerkte, dieses Rom, das er so zu finden hoffte, wie er es geträumt hatte! Und während er in seiner dünnen, schwarzen Sutane an diesem schonen Tage dastand und es betrachtete – da meinte er zu hören, wie em Ruf naher Erlösung von den Dächern aufstieg, wie eine Verheißung von Weltfrieden aus der heiligen Erde tönte, die zweimal die Königin der Welt gewesen war! Das war das dritte Rom, das neue Rom, dessen väterliche Zärtlichkeit sich über die Grenzen hinweg an alle Völker wendete, um sie, getröstet, gemeinsam zu umarmen. Er sah es, er hörte es – da lag es, so verjüngt, so kindlich-sanft unter dem weiten reinen Himmel – als schwinge es sich in die Frische des Morgens, in die leidenschaftliche Reinheit seines Traumes auf.
    Endlich riß sich Pierre von dem erhabenen Schauspiel los. Der Kutscher und das Pferd hatten sich nicht gerührt; mit gesenkten Köpfen standen sie mitten in der vollen Sonne. Auf dem Wagensitz lag der Handkoffer; er war von den Strahlen des bereits hochstehenden Gestirnes brennend heiß geworden. Und Pierre stieg wieder in den Wagen, indem er dem Kutscher abermals die Adresse zurief:
    »Via Giulia, Palazzo Boccanera!«

II.
    Um diese Stunde war die Via Giulia, die sich vom Palast Farnese bis zur Kirche S. Giovanni de Fiorentini in einer geraden Linie, etwa fünfhundert Meter lang, hinzieht, von einem Ende bis zum andern vom hellsten Sonnenschein überflutet. Das kleine viereckige Pflaster des Fahrweges – ein Trottoir gab es nicht – sah ganz weiß davon aus. Der Wagen fuhr beinahe die ganze Straße entlang, inmitten der alten, grauen, wie schlafend und leer aussehenden Häuser mit den großen, vergitterten Fenstern und den tiefen Vorhallen, durch die man in düstere, brunnenähnliche Hofe blicken konnte. Die Straße war von Papst Julius II. eröffnet worden, der sie mit

Weitere Kostenlose Bücher