Rom: Band 1
schmucklose Fassade nur die drei Reihen symmetrischer Fenster auf. Aber der Garten schnürte ihm durch seine Vernachlässigung das Herz noch mehr zusammen. In der Mitte, in einem zugeschütteten Bassin, war ein hochstämmiger Buchsbaum aufgeschossen. Zwischen den wirren Gräsern deuteten nur die Orangenbäume mit ihren reifenden, goldenen Früchten die Zeichnung der Alleen an, die sie begrenzten. An der rechten Mauer, zwischen zwei ungeheuren Lorbeerbäumen, stand ein Sarkophag aus dem zweiten Jahrhundert; das Relief stellte Faune dar, die Frauen schändeten, ein zügelloses Bacchanal, eine jener gierigen Liebesscenen, wie sie das dekadente Rom auf den Gräbern anzubringen pflegte. Und dieser in einen Trog umgewandelte, verdorrte, grünüberzogene Marmorsarkophag fing den feinen Wasserstrahl auf, der aus einer an der Mauer festgekitteten, großen, tragischen Maske floh. Einst ging hier eine Art Loggia mit einem Säulengang auf den Tiber hinaus, eine Terrasse, von der eine doppelte Treppe zum Fluß führte. Aber die Quaibauten brachten auch eine Erhöhung der Ufer mit sich; die Terrasse lag schon tiefer als der neue Boden, mitten unter Schutt und liegengebliebenen Hausteinen, mitten unter der kläglichen Verwüstung, den Demolirungen, die das ganze Viertel auf den Kopf stellten.
Aber nun war Pierre fest überzeugt, daß er den Schatten eines Rockes gesehen habe. Er kehrte in den Hof zurück und sah sich einer Frau gegenüber, die an den Fünfzig sein mochte, aber noch kein einziges weißes Haar besaß; sie war von etwas kurzem Wuchs und sah munter und sehr lebhaft drein. Beim Erblicken des Priesters nahm jedoch ihr rundes Gesicht mit den kleinen, hellen Augen einen gleichsam mißtrauischen Ausdruck an.
Er gab sich sogleich zu erkennen, indem er sein bißchen schlechtes Italienisch zusammensuchte.
»Madame, ich bin der Abbé Pierre Froment.«
Aber sie ließ ihn nicht zu Ende reden, sondern sagte in sehr gutem Französisch, mit dem etwas schwerfälligen, schleppenden Accent von Ile-de-France:
»Ach, der Herr Abbé! Ich weiß, ich weiß, ich habe Sie erwartet. Ja, ich bin eine Französin,« fuhr sie fort, als er sie verwundert anblickte. »Nun lebe ich schon seit fünfundzwanzig Jahren in diesem Lande, aber ich habe mich an ihr verteufeltes Kauderwelsch noch immer nicht gewöhnen können.«
Nun erinnerte sich Pierre, daß der Vicomte de la Choue ihm von dieser Dienerin, Victorine Bosquet, erzählt hatte. Sie war eine Beauceronnin, aus Auneau, und zu zweiundzwanzig Jahren mit einer schwindsüchtigen Dame nach Rom gekommen. Ihre Herrin starb plötzlich, und sie blieb verzweifelt, ganz allein, wie unter lauter Wilden zurück. Daher ergab sie sich mit Leib und Seele der Gräfin Ernesta Brandini, einer geborenen Boccanera, die eben niedergekommen war und sie auf der Straße aufgelesen hatte, um sie dann zum Kindermädchen ihrer Tochter Benedetta zu machen. Sie glaubte auch, durch sie Französisch zu erlernen. Victorine, nun seit fünfundzwanzig Jahren in der Familie, hatte sich zur Rolle einer Haushälterin aufgeschwungen, obwohl sie ganz ungebildet blieb und ein so geringes Sprachtalent besaß, daß sie, wenn der Dienst es erforderte, im Verkehr mit der übrigen Dienerschaft noch immer ein entsetzliches Italienisch radebrechte.
»Der Herr Vicomte befindet sich also wohl?« fuhr sie mit ihrer freimütigen Familiarität fort. »Er ist so nett. Es macht uns immer so viel Vergnügen, wenn er, so oft er herkommt, bei uns absteigt! Ich weiß, daß die Prinzessin und die Contessina gestern einen Brief von ihm bekommen haben, der Sie uns ankündigte.«
In der That, der Vicomte Philibert de la Choue hatte alles für den römischen Aufenthalt Pierres geordnet. Von der alten, kräftigen Rasse der Boccanera war niemand mehr übrig als der Kardinal Pio Boccanera, seine Schwester, die Prinzessin, eine alte Jungfer, die man aus Respekt Donna Serafina nannte, dann ihre Nichte Benedetta, deren Mutter Ernesta ihrem Gatten, dem Grafen Brandini, ins Grab gefolgt war, und endlich ihr Neffe, der Fürst Dario Boccanera, dessen Vater, Fürst Onofrio Boccanera, gestorben war, und dessen Mutter, eine geborene Montefiori, sich wieder vermählt hatte. Der Vicomte war durch eine Zufalls-Heirat eine Art Verwandter dieser Familie geworden; sein jüngerer Bruder hatte nämlich eine Brandini, die Schwester von Benedettas Vater geheiratet. Auf diese Weise hatte er als Titularonkel mehrmals zu Lebzeiten des Grafen in dem Palast in der Via Giulia
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