Rom: Band 1
hatte ein rundes Gesicht, etwas starke Lippen, eine sehr feine Nase, Züge von kindlicher Zartheit. Aber vor allem waren es die Augen, die an ihr lebten, ungeheure Augen von unendlicher Tiefe, in denen niemand mit Sicherheit zu lesen vermochte. Schlief sie? Träumte sie? Verbarg sie unter der Unbeweglichkeit ihres Gesichtes die feurige Spannkraft großer Heiligen und großer Buhlerinnen? Sie war so weiß, so jung, so ruhig, ihre Bewegungen waren harmonisch, ihr ganzes Benehmen war sehr bedächtig, sehr edel und rhythmisch! In den Ohren trug sie ein paar große Perlen von bewunderungswürdiger Reinheit. Diese Perlen stammten aus einem berühmten Halsband ihrer Mutter und ganz Rom kannte sie.
Pierre entschuldigte sich und bedankte sich bei ihr.
»Madame, ich bin beschämt – ich wollte Ihnen gleich morgens sagen, wie sehr ich von Ihrer allzu großen Güte gerührt bin.«
Er hatte einen Augenblick gezögert, sie »Madame« zu nennen, da er sich des in ihrem Gesuch um Annullirung der Ehe angeführten Motivs erinnerte. Aber offenbar nannte alle Welt sie so; ihr Gesicht behielt seinen ruhigen und wohlwollenden Ausdruck. Sie wollte ihn ermutigen.
»Sie sind hier ganz wie zu Hause, Herr Abbé. Es genügt, daß unser Verwandter, Herr de la Choue, Sie liebt und sich für Ihr Werk interessirt. Sie wissen, ich liebe ihn sehr ...«
Ihre Stimme stockte ein wenig; sie hatte begriffen, daß sie von dem Buche, der einzigen Ursache der Reise und der angebotenen Gastfreundschaft, sprechen müsse.«
»Ja, der Vicomte hat mir Ihr Buch geschickt. Ich habe es gelesen. Ich fand es sehr schön. Es hat mich aufgeregt, aber ich bin recht unwissend, sicherlich habe ich nicht alles verstanden. Wir müssen darüber sprechen. Sie werden mir Ihre Ansichten erklären, nicht wahr, Herr Abbé?«
Er las nun in ihren großen, klaren Augen, die nicht zu lügen verstanden, die Ueberraschung, die Bewegung einer Kinderseele, die beunruhigenden, noch nie begegneten Problemen gegenübergestellt wird. Sie war es also nicht, die sich für sein Buch ereifert hatte, die ihn in ihrer Nähe haben wollte, um ihn zu stützen, um an seinem Siege teilzunehmen? Er argwöhnte von neuem, und diesmal ganz bestimmt, einen geheimen Einfluß. Es gab jemand, dessen Hand alles einem unbekannten Ziele zuführte. Aber so viel Einfachheit und Freimütigkeit bei einem so schönen, so jungen und so edlen Geschöpf bezauberten ihn; er ergab sich ihr gleich nach den wenigen Worten, die er mit ihr gewechselt, und wollte ihr sagen, daß sie gänzlich über ihn verfügen könne, als er durch das Erscheinen einer andern, ebenfalls in Schwarz gekleideten Frau unterbrochen ward, deren hohe, schlanke Gestalt sich hart von dem leuchtenden Rahmen der weit offenen Thür des Nebensalons abhob.
»Also, Benedetta, hast Du Giacomo gesagt, daß er nachschauen soll? Don Vigilio ist eben gekommen; er ist allein, das schickt sich nicht.«
»Aber nein, Tante, der Herr Abbé ist hier.«
Und sie beeilte sich, ihn vorzustellen.
»Der Herr Abbé Pierre Froment – die Prinzessin Boccanera.«
Eine zeremoniöse Begrüßung fand statt. Sie mußte schon nahe an die Sechzig sein und schnürte sich derart, daß man sie von rückwärts für eine junge Frau hätte halten können. Das war übrigens ihre letzte Koketterie; ihr Haar, noch dicht und fest, war ganz weiß, nur die Augenbrauen in dem langen Gesicht mit den tiefen Falten und mit der großen eigenwilligen Familiennase waren schwarz geblieben. Sie war nie schön gewesen und war Mädchen geblieben, weil es sie tödlich verletzte, daß die Wahl des Grafen Brandini auf Ernesta, ihre jüngere Schwester, fiel; von da an hatte sie den Entschluß gefaßt, alle ihre Freuden nur in der Befriedigung des ererbten Stolzes auf den Namen, den sie trug, zu suchen. Die Boccaneras hatten bereits zwei Päpste zu den ihrigen gezählt, und sie hoffte, nicht früher zu sterben, als bis ihr Bruder, der Kardinal, der dritte geworden wäre. Sie war seine heimliche Haushälterin geworden, verließ ihn nicht mehr, wachte über ihn, beriet ihn, führte die Herrschaft über das Haus und wirkte Wunder, um den langsamen Verfall zu verbergen, der ihnen die Decke über dem Kopfe zusammenbrechen ließ. Und wenn sie seit dreißig Jahren jeden Montag einige vertraute Freunde empfing, die alle dem Vatikan angehörten, so geschah das nur aus Politik, um den Salon der schwarzen Gesellschaft, eine Macht und eine Gefahr zu bleiben.
Pierre erriet daher auch aus ihrer Aufnahme, wie
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