Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
Vom Netzwerk:
ähnelte, begann zu lachen.
    »O Liebste, ein armes Mädchen – eine Arbeiterin, die Dario heute sah.«
    Und Dario mußte seine Geschichte wieder beginnen. Er war durch eine enge Straße neben der Piazza Navona gegangen, als er auf den Stufen einer Freitreppe ein großes, starkes Mädchen von zwanzig Jahren sitzen sah, das laut schluchzte. Hauptsächlich von ihrer Schönheit gerührt, hatte er sich ihr genähert und zuletzt aus ihr heraus gebracht, daß sie in dem Hause, einer Wachsperlenfabrik, arbeitete; aber die Fabrik hatte die Arbeit eingestellt, die Werkstätte war geschlossen, und sie wagte nicht, nach Hause zu ihren Eltern zurückzukehren, so groß war dort das Elend. Dabei schlug sie unter der Sintflut ihrer Thränen so schöne Augen zu ihm auf, daß er zuletzt seine Börse zog. Und da war sie mit einem Satz in die Hohe gesprungen, ganz rot und verlegen, hatte die Hände im Rocke versteckt und nichts nehmen wollen; aber wenn er wolle, könne er ihr folgen und es ihrer Mutter geben. Dann war sie rasch gegen die Engelsbrücke zu fortgelaufen.
    »O, es war eine Schönheit,« wiederholte er mit verzückter Miene, »eine prachtvolle Schönheit! ... Größer als ich, trotz ihrer Stärke schlank – einen Hals wie eine Göttin! Eine echte Antike, eine zwanzigjährige Venus – das Kinn ein wenig stark, Mund und Lippen von vollkommener Regelmäßigkeit, die Augen – o, diese reinen, großen Augen! ... Und nichts auf dem Kopfe, nichts als die Krone der schweren, schwarzen Haare – ein strahlendes Gesicht, wie von der Sonne vergoldet!«
    Alle hörten entzückt, mit jener Freude an der Schönheit zu, die Rom trotz allem sich bewahrt.
    »Diese schönen Mädchen aus dem Volke werden sehr selten,« sagte Morano. »Man kann ganz Trastevere durchlaufen, ohne einer zu begegnen. Aber das beweist doch, daß es noch welche gibt, wenigstens eine.«
    »Und wie heißt Deine Göttin?« fragte Benedetta lächelnd; sie war belustigt und entzückt wie alle anderen.
    »Pierina,« antwortete Dario und lachte ebenfalls.
    »Und was hast Du mit ihr gemacht?«
    Aber das Gesicht des jungen Mannes nahm einen Ausdruck von Unbehagen und Furcht an, wie ein Kind, das während des Spieles auf ein häßliches Tier stößt.
    »Ach, sprich nicht davon, es hat mir leid genug gethan ... Ein Elend, daß einem dabei übel werden kann!«
    Er war aus Neugierde hinter ihr hergegangen, bis zur andern Seite der Engelsbrücke, bis in das neue Viertel, das auf den Prati del Castello Wiesen der Engelsburg. gebaut wurde; und dort im ersten Stock eines der verlassenen, kaum noch trockenen und schon verfallenen Häuser war er auf ein schreckliches Schauspiel gestoßen, von dem ihm noch immer übel war: eine ganze Familie, Mutter, Vater, ein alter, kranker Oheim, mehrere Kinder starben beinahe vor Hunger, verfaulten im Schmutz. Er gebrauchte bei dieser Schilderung die edelsten Ausdrücke und wehrte die furchtbare Vision mit einer erschreckten Handbewegung ab.
    »Nun, ich machte, daß ich fort kam. Und ich stehe euch gut dafür, daß ich nicht mehr hingehe.«
    In der kalten und verlegenen Stille, die darauf folgte, entstand ein allgemeines mißbilligendes Kopfschütteln. Morano beschuldigte mit bitteren Worten die Räuber, die vom Quirinal, daß sie die einzige Ursache des ganzen Elends von Rom seien. Sprach man denn nicht davon, den Deputirten Sacco, diesen Intriguanten, der sich in allen Arten von verdächtigen Abenteuern kompromittirt hatte, zum Minister zu machen? Das wäre der Gipfel der Frechheit, der unfehlbare und nahe Bankerott.
    Nur Benedetta, deren Blick sich auf Pierre richtete, da sie an sein Buch dachte, murmelte:
    »Die armen Leute! Wie traurig! Aber warum sollte man nicht wieder nach ihnen sehen?«
    Pierre, der anfangs zerstreut und nicht in seinem Element war, wurde von der Erzählung Darios tief erschüttert. Er durchlebte wieder sein Apostelamt inmitten des Elends von Paris; ein tiefes Erbarmen überkam ihn, als er gleich bei seiner Ankunft in Rom auf ähnliche Leiden stieß. Ohne es zu wollen, hob er die Stimme und sagte ganz laut:
    »O Madame, gehen wir zusammen hin! Führen Sie mich hin! Diese Fragen ziehen mich so sehr an.«
    Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden wurde dadurch wieder auf ihn gelenkt. Man begann ihn auszufragen; er fühlte heraus, daß alle neugierig waren, zu erfahren, wie der erste Eindruck gewesen, den er empfangen, was er von ihrer Stadt und von ihnen selbst denke. Er dürfe Rom nicht voreilig nach dem äußern Schein

Weitere Kostenlose Bücher