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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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ein Blitz, dann verschwand der Argwohn wieder; er erhob sich gewaltsam und schüttelte sich, indem er das traurige Zwielicht beschuldigte, die einzige Ursache dieses Schauderns und dieser Verzweiflung zu sein, deren er sich schämte.
    Nun begann Pierre, um sich aufzurütteln, die zwei Zimmer zu untersuchen. Sie waren einfach, fast ärmlich mit ungleichen, aus dem Anfang des Jahrhunderts stammenden Mahagonimöbeln ausgestattet. Weder an dem Bette noch an Fenstern und Thüren befanden sich Vorhänge. Auf dem Boden, aus den kahlen, rot angestrichenen und gewichsten Dielen lagen nur vor den Sitzplätzen kleine Fußteppiche. Schließlich erinnerte ihn diese bürgerliche Kahlheit und Kälte an das Zimmer, in dem er als Kind in Versailles bei seiner Großmutter geschlafen, die dort unter Ludwig Philipp einen Kurzwarenhandel betrieben hatte. Aber an einer Wand des Zimmers, vor dem Bette hing zwischen kindischen, wertlosen Gravüren ein altes Bild, das ihn interessirte. Es stellte, von dem erlöschenden Tageslicht kaum beleuchtet, eine Frauengestalt vor, die auf einem Steinsockel auf der Schwelle eines großen, strengen Gebäudes saß, aus dem man sie hinausgejagt zu haben schien. Die bronzenen Thorflügel hatten sich für immer hinter ihr geschlossen und sie saß da, in eine einfache, weiße Leinwand gehüllt, während zerstreute, rauh, aufs Geratewohl hingeschleuderte Kleidungsstücke auf den dicken Granitstufen herumlagen. Ihre Füße, ihre Arme waren nackt, das Gesicht lag zwischen den schmerzhaft gerungenen Händen – ein Gesicht, das man nicht sah, das, von den Wellen eines herrlichen Haares überflutet, mit einem fahlen Goldschleier verhüllt wurde. Was für einen namenlosen Schmerz, was für eine furchtbare Schmach, was für ein abscheuliches Verlassensein verbarg sie so, diese Verstoßene, diese beharrlich Liebende, über deren Geschichte – der Geschichte eines heftigen Herzens – man endlos sinnen konnte? Man erriet, daß sie in ihrem Elend, in diesem um ihre Schultern geschlungenen Fetzen Leinwand anbetungswürdig jung und schön war, aber alles übrige an ihr – ihre Leidenschaft, vielleicht ihr Unglück, vielleicht ihre Schuld – war vom Geheimnis umwoben. Es wäre denn, daß sie nur das Symbol von allem war, was ohne bestimmtes Antlitz, schauernd und weinend vor der ewig geschlossenen Thür des Unbekannten steht. Lange sah er sie an, so fest, daß er sich zuletzt einbildete, er könne ihr göttlich reines, göttlich leidensvolles Profil unterscheiden. Aber das war nur eine Illusion, denn das Bild hatte viel gelitten, war geschwärzt und vernachlässigt. Von welchem unbekannten Meister mochte dieses Panneau wohl sein, daß es ihn derart bewegte? An der Wand daneben hing eine heilige Jungfrau, eine schlechte Kopie eines Gemäldes aus dem achtzehnten Jahrhundert, und reizte ihn durch ihr banales Lächeln.
    Der Tag senkte sich mehr und mehr. Pierre öffnete das Fenster des Salons und stützte sich auf seinen Ellenbogen. Gegenüber, am jenseitigen Ufer des Tiber, erhob sich der Janiculus, der Berg, von dem er am Vormittag Rom gesehen hatte. Aber es war in dieser trüben Stunde nicht mehr die Stadt der Jugend und der Träume, die sich in die Morgensonne aufschwang; die Nacht verschleierte alles mit Aschgrau, der Horizont, undeutlich und düster, versank. Da unten, links, über den Dächern schimmerte noch der Palatin, und da unten, rechts, hob sich der Dom von S. Peter schieferfarben noch immer von dem bleigrauen Himmel ab. Der Quirinal hinter ihm, den er nicht sehen konnte, mußte wohl auch vom Nebel verdunkelt sein. Ein Paar Minuten verstrichen, und alles umzog sich noch mehr; Rom verschwand, verlor sich in seiner ihm unbekannten Unermeßlichkeit. Von neuem ergriffen ihn grundlose Zweifel und Unruhe so schmerzlich, daß er nicht länger am Fenster zu bleiben vermochte. Er schloß es und setzte sich nieder, indem er sich von dem Dunkel mit einer Flut unendlicher Traurigkeit überschwemmen ließ. Und seine trübe Träumerei nahm erst ein Ende, als die Thür sich leise aufthat und der Schein einer Lampe das Zimmer erhellte.
    Es war Victorine, die vorsichtig mit dem Licht eintrat.
    »O, Herr Abbé, schon auf! Ich war gegen vier hier, aber ich ließ Sie weiter schlafen. Es war recht klug von Ihnen, sich nach Herzenslust auszuschlafen.«
    Aber als er über Gliederschmerzen und Schauern klagte, wurde sie unruhig.
    »Geben Sie nur acht, Sie werden sich doch nicht das abscheuliche Fieber von hier holen! Sie wissen,

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