Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
Vom Netzwerk:
beurteilen. Was hatte er gesehen, wie fand er es? Er entschuldigte sich höflich, daß er darauf keine Antwort geben könne, da er nichts gesehen habe, noch nicht einmal ausgegangen sei. Aber man drängte desto eifriger in ihn; er hatte das deutliche Gefühl, daß man einen Druck auf ihn ausüben, ihn gewaltsam zur Bewunderung und Liebe zwingen wolle. Man erteilte ihm Ratschläge, beschwor ihn, sich nicht von fatalen Enttäuschungen beeinflußen zu lassen, auszuharren und zu warten, bis Rom ihm seine Seele enthülle.
    »Wie lange gedenken Sie bei uns zu bleiben, Herr Abbé?« fragte eine höfliche, sanfte und klare Stimme.
    Es war der Monsignore Nani. Er saß im Dunkeln und sprach zum erstenmale mit lauter Stimme. Pierre meinte mehrmals zu bemerken, daß der Prälat den Blick seiner blauen, äußerst lebhaften Augen nicht von ihm wandte, während er aufmerksam dem langsamen Geschwätz der Tante Celias zuzuhören schien.
    Ehe er antwortete, blickte er ihn an. In seiner karmesinrot eingefaßten Sutane, der um die Taille geschlungenen violetten Seidenschärpe sah er mit seinem noch blonden Haar, der geraden und feinen Nase, dem äußerst zart und äußerst fest gezeichneten Munde, den bewunderungswürdig weißen Zähnen noch ziemlich jung aus, obwohl er das fünfzigste Jahr überschritten hatte.
    »Monsignore, etwa vierzehn Tage, vielleicht drei Wochen.«
    Der ganze Salon protestirte. Wie, drei Wochen? Er bildete sich ein, Rom in drei Wochen kennen zu lernen! Dazu gehörte ein halbes Jahr, ein Jahr, zehn Jahre! Der erste Eindruck sei immer ungünstig; um ihn zu überwinden, sei ein langer Aufenthalt erforderlich.
    »Drei Wochen!« wiederholte Donna Serafina mit ihrer geringschätzigen Miene. »Kann man sich denn in drei Wochen studiren und lieben lernen? Die zu uns zurückkehren, das sind die, welche uns zuletzt kennen gelernt haben.«
    Nani hatte sich, ohne sich mit den anderen zu ereifern, zuerst damit begnügt, zu lächeln. Er machte eine leichte Bewegung mit seiner feinen Hand, die seine aristokratische Abstammung verriet. Aber als Pierre bescheiden auseinandersetzte, daß er, da er nur gekommen sei, um gewisse Schritte einzuleiten, abreisen werde, sobald diese Schritte erledigt wären, schloß der Prälat noch immer lächelnd:
    »O, der Herr Abbé wird mehr als drei Wochen hier bleiben! Ich hoffe, wir werden Das Glück haben, ihn noch lange zu besitzen.«
    Obwohl diese Worte mit ruhiger Höflichkeit gesprochen wurden, beunruhigten sie doch den jungen Priester. Was wußte der Prälat? Was wollte er damit sagen? Er beugte sich zu dem stumm neben ihm sitzenden Don Vigilio herab und fragte ganz leise:
    »Wer ist denn der Monsignore Nani?«
    Aber der Sekretär antwortete nicht sogleich. Sein fieberverzehrtes Gesicht nahm eine noch grauere Färbung an. Seine glühenden Augen fuhren umher, vergewisserten sich, daß niemand ihn beobachte, und dann hauchte er:
    »Der Assessor beim S. Offizio.«
    Die Auskunft genügte, denn Pierre war es nicht unbekannt, daß der Assessor, der schweigend den Versammlungen des S. Offizio beiwohnte, sich jeden Mittwoch Abend nach der Sitzung zum heiligen Vater begab, um ihm über die am Nachmittag verhandelten Angelegenheiten Bericht zu erstatten. Diese wöchentliche Audienz, diese vertrauliche Stunde beim Papst, die erlaubte, jedes Thema anzuschlagen, verlieh dem Betreffenden eine besondere Stellung, eine beträchtliche Macht. Außerdem führte dieses Amt zur Kardinalswürde; der Assessor konnte in der Folge nur noch zum Kardinal ernannt werden.
    Monsignore Nani, der ein äußerst einfacher und liebenswürdiger Mann zu sein schien, fuhr fort, den jungen Priester mit so aufmunternder Miene anzublicken, daß der letztere verpflichtet war, sich auf dem von der alten Tante Celias endlich freigegebenen Platz neben ihm niederzulassen. War diese gleich am ersten Tage erfolgte Begegnung mit einem mächtigen Prälaten, dessen Einfluß ihm vielleicht alle Thüren öffnen würde, nicht ein Vorzeichen des Sieges? Er war daher sehr bewegt, als dieser ihn gleich nach den ersten Worten höflich, mit dem Ton tiefsten Interesses fragte:
    »Also, mein liebes Kind, Sie haben ein Buch veröffentlicht?«
    Und Pierre, nach und nach aufs neue von Begeisterung ergriffen, vergaß ganz, wo er sich befand, und vertraute sich ihm an; er erzählte, wie er durch die Leidenden und Geringen in die brennende Nächstenliebe eingeweiht worden sei, träumte ganz laut von der Rückkehr zur christlichen Gemeinde, frohlockte mit

Weitere Kostenlose Bücher