Rom: Band 1
seine Hand im Spiele hatte, ohne jemals sein Bureau verlassen zu haben. Er wußte, daß er trotz seiner scheinbaren Unbedeutendheit durch seine langsame, methodische und organisirte Eroberungsarbeit eine Macht war, die Reiche erschüttern konnte.
»Haben Eminenz sich schon von Ihrem Schnupfen erholt? Wir waren ganz verzweifelt ...«
»Nein, nein, ich huste noch immer ... Es ist ein gefährlicher Korridor. Ich erstarre zu Eis, wie ich nur mein Kabinet verlasse.«
Von diesem Augenblick an kam sich Pierre ganz klein und verloren vor. Man vergaß sogar, ihn dem Kardinal vorzustellen. Und er mußte noch beinahe eine Stunde da bleiben, auf das Zusehen und Beobachten beschränkt. Nun kam ihm diese ganze, gealterte Gesellschaft kindisch vor, als wären alle in eine traurige Kindheit zurückgefallen. Er erriet jetzt, daß sich hinter der ernsten Haltung, der hochmütigen Zurückhaltung, eine wirkliche Schüchternheit, das uneingestandene Mißtrauen einer großen Unwissenheit verbarg. Wenn das Gespräch nicht allgemein ward, so rührte das daher, weil niemand sich hervorwagte. Aus den Winkeln aber horte er läppisches, endloses Geschwätz, die unbedeutenden Histörchen der Woche, kleinen Sakristei- und Salonklatsch. Man kam nur selten mit einander zusammen, die geringsten Ereignisse nahmen ungeheure Dimensionen an. Zuletzt hatte er das deutliche Gefühl, als sei er in einen französischen Salon in einer der großen bischöflichen Provinzstädte zur Zeit Karls X. versetzt. Keinerlei Erfrischungen wurden gereicht. Die alte Tante Celias bemächtigte sich des Kardinals Sarno, der ihr leine Antwort gab und nur von Zeit zu Zeit das Kinn vorschob. Don Vigilio hatte den ganzen Abend über nicht den Mund aufgethan. Zwischen Nani und Morano hatte sich ein langes, mit ganz leiser Stimme geführtes Gespräch entwickelt, während Donna Serafina, die sich zu ihnen herabbeugte, um zuzuhören, langsam und beifällig mit dem Kopfe nickte. Zweifellos sprachen sie von der Scheidung Benedettas, denn sie sahen sie von Zeit zu Zeit mit ernster Miene an. Und in dem riesigen, von dem ruhigen Licht der Lampen erhellten Gemach schien nur die aus Benedetta, Dario und Celia bestehende Gruppe der Jungen zu leben. Sie plauderten halblaut und erstickten manchmal ein Lachen.
Plötzlich fiel Pierre die große Ähnlichkeit zwischen Benedetta und dem an der Wand hängenden Porträt der Cassia auf. Es war dieselbe kindliche Zartheit, derselbe leidenschaftliche Mund und dieselben großen, unendlichen Augen, in demselben runden, vernünftigen und gesunden Gesicht. Das war sicherlich eine redliche Seele und ein feuriges Herz. Dann schoß ihm eine Erinnerung durch den Kopf: die Erinnerung an ein Gemälde von Guido Reni, den anbetungswürdigen, reinen Kopf der Beatrice Cenci. Und das Porträt der Cassia schien ihm in diesem Augenblick dessen genaue Reproduktion zu sein. Diese doppelte Ähnlichkeit rührte ihn und bewog ihn, Benedetta mit unruhiger Teilnahme anzusehen, als sollte das gewaltige Verhängnis des Landes und der Rasse auf sie niederstürzen. Aber sie sah so ruhig, so entschlossen und geduldig aus! Seit er sich im Salon befand, hatte er zwischen ihr und Dario keine andere als eine rein geschwisterliche und muntere Zärtlichkeit beobachten können. Besonders ließ sich das von ihr behaupten; ihr Gesicht bewahrte den heiter klaren Ausdruck einer großen Liebe, die vor aller Welt eingestanden werden kann. Einmal hatte Dario im Scherz ihre Hände ergriffen und gedrückt; aber wenn er dabei auch ein wenig nervös zu lachen begann und mächtige Flammen unter seinen Wimpern hervorzuckten, so hatte sie hingegen ruhig ihre Finger losgemacht, wie bei einem Spiel alter, zärtlicher Kameraden. Sie liebte ihn, sich nachbarlich, mit ihrem ganzen Sein, fürs ganze Leben.
Aber nachdem Dario ein leichtes Gähnen erstickt, nach der Uhr gesehen und sich gedrückt hatte, um sich mit einigen Freunden zu treffen, die bei einer Dame spielten, ließen sich Benedetta und Celia auf ein Kanapee neben dem Stuhl Pierres nieder; und ohne es zu wollen, fing dieser ein paar Worte ihres Gespräches auf. Die kleine Prinzessin war die älteste Tochter des Fürsten Matteo Buongiovanni, der bereits Vater von fünf Kindern mit einer Mortimer, einer Engländerin, vermählt war, die ihm fünf Millionen zugebracht hatte. Uebrigens führte man die Buongiovannis als eine der seltenen Familien des römischen Patriziats an, die noch Reichtum besaßen und inmitten der von allen Seiten
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