Rom: Band 1
Empfangsräume eines seiner Großoheime, der zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts gleich ihm Kardinal gewesen, beibehalten. Sie bestanden aus einer Reihe von vier ungeheuren, sechs Meter hohen Sälen und erhielten ihr Licht von dem steil zum Tiber hinabführenden Gäßchen. Aber die Sonne drang niemals dorthin, denn die schwarzen, gegenüberliegenden Häuser versperrten ihr den Weg. Die Einrichtung mit all dem Pomp und Gepränge, den die Fürsten von ehedem, die kirchlichen Großwürdenträger entwickelten, war unberührt geblieben; aber nicht die geringste Reparatur war daran gemacht, nicht die geringste Sorgfalt darauf verwendet worden. Die Tapeten hingen in Fetzen herab, der Staub zerfraß die Möbel, und aus der vollständigen Vernachlässigung spürte man etwas wie den hochfahrenden Wunsch heraus, die Zeit aufzuhalten.
Als Pierre in das erste Gemach, das Bedientenvorzimmer, trat, empfand er eine leichte Betroffenheit. Einst standen hier zwei uniformirte päpstliche Gendarmen unbeweglich mitten unter einem Schwarm von Lakaien; heute verstärkte ein einziger Bedienter durch seine gespenstische Gegenwart noch die Melancholie dieses riesigen, halb dunklen Saales. Dem Blick siel besonders ein dem Fenster gegenüber befindlicher, rotbehangener und von einem roten Baldachin überragter Altar auf. Unter dem Baldachin befand sich das gestickte Wappen der Boccaneras, der beflügelte, in die Flamme blasende Drache mit der Devise: » Bocca nera, alma rossa !« Auch der Kardinalshut des Großoheims, der einstige große, für Zeremonien bestimmte Hut, befand sich hier, desgleichen die beiden roten Seidenkissen; und an der Wand hingen die zwei alten Sonnenschirme, die bei jeder Spazierfahrt in der Karosse mitgeführt wurden. Man meinte in dieser vollständigen Stille das leise Geräusch der Milben zu hören, die seit einem Jahrhundert an dieser ganzen toten Vergangenheit nagten. Ein Schlag mit einer Feder hätte genügt, um alles zu Staub zerfallen zu machen.
Das zweite Vorzimmer, in dem sich einst der Sekretär aufzuhalten pflegte, ein ebenfalls ungeheuer großer Saal, war leer. Pierre mußte ihn durchschreiten; er entdeckte Don Vigilio erst in dem dritten Raum, dem Ehrenvorzimmer. Da das Personal fortan auf das streng Notwendige beschränkt war, zog es der Kardinal vor, seinen Sekretär gleich bei der Hand, dicht vor der Thür des ehemaligen Thronsaales zu haben, in dem er empfing. Don Vigilio, ganz mager, ganz gelb und von Fieberschauern geschüttelt, saß da wie verloren an einem kleinen, ärmlichen, mit Papieren bedeckten schwarzen Tische. Er war in ein Aktenstück vertieft, hob den Kopf, erkannte den Besucher und sagte mit leiser Stimme, so daß es in der Stille kaum wie ein Murmeln klang:
»Seine Eminenz ist beschäftigt ... Bitte zu warten.«
Dann vertiefte er sich wieder ins Lesen; zweifellos wollte er sich zu keinem Gespräch verlocken lassen.
Pierre, der sich nicht zu setzen wagte, betrachtete das Zimmer. Es war vielleicht noch verfallener als die beiden anderen. Die grüne, vom Alter abgenützte Damasttapete glich dem Moose, das auf alten Bäumen verbleicht. Aber die Decke war noch herrlich; es war eine prächtige Dekoration, ein Fries mit gemalten und vergoldeten Verzierungen, die einen Triumph der Amphitrite, die Freske eines Raffaelschülers, einrahmten. Nach alter Sitte befand sich in diesem Räume auch der Kardinalshut; er lag auf einem Seitentisch, zu Füßen eines großen Kruzifixes aus Ebenholz und Elfenbein.
Als Pierre sich jedoch an das Zwielicht gewöhnte, wurde sein Interesse plötzlich durch ein kürzlich gemaltes Porträt des Kardinals gefesselt. Dieser war stehend, in großer Gala, in der Sutane aus rotem Moirée, dem Chorhemd aus Spitzen abgebildet; die Kappa war königlich um die Schultern geschlagen. Und dieser hohe Greis von siebenzig Jahren hatte in diesem kirchlichen Gewande seine stolze, fürstliche Haltung bewahrt; er war ganz glatt rasirt und seine weißen Haare waren so dicht, daß sie in Locken auf seine Schultern herabquollen. Es war das majestätische Gesicht der Boccaneras – die starke Nase, der große Mund mit den schmalen Lippen, das lange, von tiefen Falten durchquerte Gesicht. Und besonders die Augen seines Geschlechtes erhellten das blasse Gesicht – tiefbraune, feurig lebhafte Augen unter dichten, noch schwarzen Brauen. Wäre das Haupt des Kardinals mit dem Lorbeer bekränzt gewesen, so hätte es an die Köpfe der römischen Kaiser gemahnt; er sah sehr schön und
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