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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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stellen, die ihn peinigte.
    »Monsignore Nani ist wohl eine sehr einflußreiche Persönlichkeit?«
    Don Vigilio erschrak abermals. Er machte bloß eine Geberde, indem er beide Arme ausbreitete, als wolle er die Welt umarmen. Dann flammten seine Augen auf; auch ihn schien die Neugierde zu packen. »Sie kannten ihn schon früher nicht wahr?« fragte er, ohne zu antworten.
    »Ich! Keine Spur!«
    »Wirklich!... Nun, er kannte Sie sehr gut. Ich hörte ihn vorigen Montag in so bestimmten Ausdrücken von Ihnen reden, daß es mir schien, er sei über die geringsten Einzelheiten Ihres Lebens und Ihres Charakters unterrichtet.«
    »Ich habe niemals auch nur seinen Namen nennen hören.«
    »Dann wird er sich eben erkundigt haben,«
    Don Vigilio grüßte und trat in sein Zimmer. Zu seinem Erstaunen sah Pierre die Thüre des seinigen offen stehen und Victorine mit ihrer ruhigen und geschäftigen Miene daraus herauskommen.
    »Ah, Herr Abbé! Ich wollte mich selbst überzeugen, daß es Ihnen an nichts fehlt! Sie haben Ihr Licht, Sie haben Wasser, Zucker, Zündhölzchen. Und was nehmen Sie des Morgens? Kaffee? Nein? Bloße Milch mit einem Brötchen. Schön! Also um acht Uhr, nicht wahr?... Schlafen Sie wohl! Ruhen Sie sich gut aus! O, ich hatte in den ersten Nächten eine schreckliche Angst vor den Gespenstern in diesem alten Palast! Aber ich habe nie auch nur einen Zipfel von einem gesehen. Wenn man tot ist, ist man froh, daß man's ist. Man ruht sich aus.«
    Endlich war Pierre allein. Er war froh, daß er sich ausstrecken konnte, daß er dem Unbehagen der unbekannten Umgebung, diesem Salon, diesen Leuten entronnen war, die sich unter dem stillen Licht der Lampen vermischten, verwischten. Gespenster – das sind die alten Toten von einst, deren unruhige Seelen wiederkehren, um in der Brust der Lebenden von heute wieder zu lieben und zu leiden. Trotzdem er am Tage so lange geruht hatte, hatte er noch nie eine solche Mattigkeit, ein solches Schlafbedürfnis empfunden; sein Kopf war ganz wirr und verdreht; er fürchtete, daß er nichts verstanden habe. Als er sich zu entkleiden begann, erfaßte ihn das Erstaunen, daß er sich hier befand, sich hier niederlegte, wieder mit solcher Heftigkeit, daß er sich einen Augenblick wie ein ganz anderer Mensch vorkam. Was dachten diese Leute von seinem Buche? Warum hatte man ihn in dieses kalte Haus kommen lassen, das ihm – er ahnte es – feindlich gesinnt war? Geschah es, um ihm zu helfen oder um ihn zu besiegen? Und er sah in dem gelben Lichte des Salons nichts mehr als Donna Serafina und den Advokaten Morano zu beiden Seiten des Kamins, während hinter dem leidenschaftlichen und ruhigen Kopfe Benedettas das lächelnde Gesicht Monsignore Nanis mit den listigen Augen und dem unbezähmbare Energie atmenden Munde erschien.
    Er legte sich nieder, aber bald stand er wieder auf; er erstickte, er empfand ein solches Bedürfnis nach frischer, freier Luft, daß er das Fenster weit aufmachte und sich hinauslehnte. Aber die Nacht war schwarz wie Tinte; die Schatten hatten den Horizont verschlungen. Die Sterne am Firmament wurden wahrscheinlich von Nebeln verdeckt, das undurchsichtige Gewölbe lastete bleischwer herab. Die Häuser des gegenüberliegenden Trastevere schliefen schon lange; kein einziges Fenster war erleuchtet; nur in der Ferne leuchtete ein Gasflämmchen gleich einem verlorenen Stern. Vergebens suchte er den Janiculus. Alles ging in diesem Meer von Nichts unter – die vierundzwanzig Jahrhunderte Roms, der antike Palatin, der moderne Quirinal, der von der Schattenflut vom Himmel verdrängte Riesendom von S. Peter. Er sah, er hörte nicht einmal unter sich den Tiber, den toten Strom in der toten Stadt.

III.
    Am nächsten Morgen, um drei Viertel auf zehn begab sich Pierre in den ersten Stock des Palastes, um zur Audienz beim Kardinal Boccanera zu erscheinen. Er war wieder voll Mut, voll der naiven Begeisterung seines Glaubens – und von seiner seltsamen gestrigen Niedergeschlagenheit, den Zweifeln und dem Mißtrauen, das ihn bei der ersten Berührung mit Rom, nach der Ermüdung der Reise ergriffen hatte, war nichts zurückgeblieben. Es war so schon, der Himmel so rein, daß sein Herz wieder hoffnungsvoll klopfte.
    Die auf den ungeheuer großen Treppenabsatz mündende Thür des ersten Vorzimmers stand weit offen. Der Kardinal, einer der letzten Kardinäle des römischen Patriziats, hatte, obwohl er die auf die Straße gehenden, vor Alter zusammenfallenden Galasäle geschlossen hielt, die

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