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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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dem verjüngten Katholizismus, der die Religion der universellen Demokratie geworden. Allmälich hatte er abermals die Stimme erhoben und in dem alten, strengen Salon ward es still; alle hörten ihm abermals zu, inmitten einer wachsenden Ueberraschung, einer eisigen Kälte, die er nicht empfand.
    Zuletzt unterbrach ihn Nani sanft mit seinem ewigen Lächeln, dessen ironischer Anstrich nicht einmal mehr sichtbar war.
    »Gewiß, gewiß, mein liebes Kind, das alles ist sehr schön. O, sehr schön, der reinen, edlen Phantasie eines Christen vollkommen würdig. – Aber was gedenken Sie nun zu thun?«
    »Geradewegs zum heiligen Vater zu gehen und mich zu verteidigen.«
    Ein leises, unterdrücktes Gelächter entstand, und Donna Serafina drückte die Ansicht aller aus, indem sie rief:
    »Man bekommt den heiligen Vater nicht so mir nichts dir nichts zu sehen!«
    Aber Pierre ereiferte sich.
    »Ich hoffe doch ihn zu sehen! habe ich denn nicht seine eigenen Ideen ausgesprochen? Habe ich nicht seine Politik verteidigt? Kann er mein Buch verdammen lassen, mein Buch, zu dem mich, wie ich glaube, sein bestes Selbst inspirirt hat?«
    »Gewiß, gewiß,« wiederholte Nani hastig, als befürchte er, daß man es mit diesem jungen Enthusiasten verderben könne. »Der heilige Vater besitzt eine so hohe Intelligenz! Ja, Sie müssen ihn sehen ... nur, mein liebes Kind, dürfen Sie sich nicht derart aufregen. Denken Sie ein wenig nach, Warten Sie Ihre Zeit ab!«
    Dann wandte er sich zu Benedetta.
    »Seine Eminenz hat den Herrn Abbé noch nicht gesehen, nicht wahr?« fragte er. »Es wäre gut, wenn er gleich morgen geruhen würde, ihn zu empfangen, um ihn mit seinen weisen Ratschlagen zu leiten.«
    Der Kardinal Boccanera wohnte niemals den Empfängen seiner Schwester am Montag Abend bei. Im Geiste war er als der abwesende oberste Gebieter immer anwesend.
    »Ich fürchte nämlich,« antwortete die Contessina zögernd, »daß der Oheim die Ideen des Herrn Abbé nicht teilt.«
    Nani begann wieder zu lächeln.
    »Eben deshalb wird er ihm vieles sagen können, was des Anhörens wert ist.«
    Und es wurde sofort mit Don Vigilio abgemacht, daß dieser Pierre zur Audienz für den nächsten Vormittag um zehn Uhr vormerken solle.
    Aber in diesem Augenblick trat ein Kardinal ein; er trug die Tracht, die die Kardinäle beim Ausgehen anlegen, den roten Gürtel und die roten Strümpfe, die schwarze, rotbortirte Zimarra mit den roten Knöpfen. Es war der Kardinal Sarno, ein sehr alter Freund der Familie Boccanera. Während er sich damit entschuldigte, daß er bis sehr spät habe arbeiten müssen, schwieg alles im Salon und drängte sich ehrerbietig um ihn. Aber Pierre, der zum erstenmal einen Kardinal sah, empfand eine lebhafte Enttäuschung, denn es war nicht die majestätische Erscheinung, der schöne, dekorative Anblick, wie er es erwartet hatte. Dieser Kardinal sah klein und etwas verwachsen aus, die linke Schulter war höher als die rechte, das Gesicht ausgemergelt und erdfahl, die Augen erloschen. Er machte auf ihn den Eindruck eines sehr alten, siebenzigjährigen Beamten, der durch ein halbes Jahrhundert beschränkten Bureaukratenlebens abgestumpft, träge und mißgestaltet geworden war, weil er niemals den runden Lehnsessel verließ, in dem er seine Existenz verbrachte. Und in der That, seine ganze Geschichte ließ sich in folgendem zusammenfassen: er war der kränkliche Sprößling einer unbedeutenden, bürgerlichen Familie, wurde im römischen Seminar erzogen, war dann zehn Jahre lang Professor des kanonischen Rechts an demselben Seminar, hierauf Sekretär der Propaganda und nun seit fünfundzwanzig Jahren Kardinal. Vor kurzem hatte er sein Kardinaljubiläum gefeiert. In Rom geboren, hatte er keinen einzigen Tag außerhalb Roms zugebracht; er war der richtige Typus des im Schatten des Vatikans, des Herrn der Welt, aufgewachsenen Priesters. Obwohl er niemals eine diplomatische Funktion ausgeübt hatte, war er der Propaganda durch seine methodischen Arbeitsgewohnheiten so unentbehrlich geworden, daß man ihn zum Präsidenten einer der zwei Kommissionen ernannte, die sich in die Leitung der ungeheuren, noch nicht katholisirten Gebiete des Westens teilen. So kam es, daß auf dem Grunde dieser erloschenen Augen, hinter diesem niedrigen, stumpfen Schädel die ungeheure Landkarte der Christenheit lag.
    Selbst Nani hatte sich voll geheimer Ehrfurcht vor diesem unscheinbaren und schrecklichen Manne erhoben, der überall, in den entferntesten Winkeln der Erde

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