Rom: Band 1
ihn, sich umzudrehen. Eine Thür in der Tapete hatte sich eben geöffnet, und zu seiner Ueberraschung sah er einen etwa vierzigjährigen, dicken, kurzen Abbé vor sich stehen; man hätte ihn für eine schwarz gekleidete alte Jungfer halten können, und zwar für eine sehr bejahrte, derart war sein schlaffes Gesicht von Runzeln durchzogen. Es war der Abbé Paparelli, der Schleppträger und Kammerherr, der infolge des letzteren Titels das Amt hatte, die Besucher einzuführen. Als er den jungen Priester bemerkte, wollte er ihn ausfragen, aber Don Vigilio mischte sich ein, um ihn aufzuklären.
»Ah, schön, schön! Der Herr Abbé Froment, den Seine Eminenz geruhen wird, zu empfangen ... Bitte zu warten, bitte zu warten.«
Und er begab sich mit seinem gleitenden, unhörbaren Schritt wieder auf seinen Platz im zweiten Vorzimmer, wo er sich gewöhnlich aufhielt.
Pierre gefiel dieses vom Cölibat gebleichte, von allzuharten religiösen Uebungen verwüstete alte Frömmlergesicht nicht; und da Don Vigilio sich nicht wieder an die Arbeit machte, weil ihm der Kopf schwer war und seine Hände vor Fieber brannten, erkühnte er sich, ihn auszufragen. O, der Abbé Paparelli! Das war ein äußerst gläubiger Mann, der nur aus reiner Demut auf dem bescheidenen Posten bei Seiner Eminenz blieb! Uebrigens geruhte dieser, ihn dafür zu belohnen, indem er es manchmal nicht verschmähte, seine Ansichten anzuhören. Und dabei lag in den glühenden Augen Don Vigilios eine heimliche Ironie, ein noch verhüllter Zorn. Er fuhr fort, Pierre genau anzusehen, und seine Miene beruhigte sich ein wenig; die sichtliche Redlichkeit dieses Fremden, der keiner der Parteien angehören sollte, bestach ihn. Er gab daher zuletzt sein gewohntes, krankhaftes Mißtrauen auf und vergaß sich so weit, einen Augenblick zu plaudern.
»Ja, ja, es gibt manchmal viel Arbeit und schwere Arbeit ... Seine Eminenz gehört verschiedenen Kongregationen an: der Inquisitions-, der Index-, der Riten-, der Konsistorialkongregation. Zur Beschleunigung der ihm obliegenden Angelegenheiten kommen alle Akten mir zu. Ich muß jede Angelegenheit studiren, einen Bericht darüber verfassen, kurz, das Ganze in Ordnung bringen ... Nicht zu reden davon, daß auch die gesamte Korrespondenz durch meine Hände geht! Glücklicherweise ist Seine Eminenz ein Heiliger, der weder für sich noch für andere intrigirt. Das gestattet uns, ein wenig abseits zu leben.«
Pierre interessirte sich lebhaft für diese intimen Einzelheiten der Existenz eines Kirchenfürsten, die gewöhnlich so verborgen und oft von der Legende entstellt werden. Er erfuhr, daß der Kardinal Sommer und Winter um sechs Uhr morgens aufstand. Die Messe las er in seiner Kapelle, einem kleinen, nur mit einem Altar aus gemaltem Holz eingerichteten Gemach, das niemand je betrat. Uebrigens bestand seine Privatwohnung bloß aus einem Schlaf-, einem Speise- und einem Arbeitszimmer, lauter bescheidenen, engen Räumen, die man mittels Scheidewänden aus einem großen Saale hergestellt hatte. Er lebte sehr zurückgezogen, ohne jeden Luxus, wie ein nüchterner, armer Mann ... Um acht Uhr trank er zum Frühstück eine Tasse kalte Milch. Dann begab er sich an Sitzungstagen in die Kongregationen, denen er angehörte, oder blieb zu Hause, um Empfang abzuhalten. Das Diner fand um ein Uhr statt; dann kam bis vier, im Sommer sogar bis fünf Uhr die Siesta, die römische Siesta, der heilige Moment, da kein Bedienter gewagt hätte, auch nur an die Thür zu klopfen. An schönen Tagen machte er nach dem Erwachen eine Spazierfahrt in die Gegend der alten Via Appia, von wo er bei Sonnenuntergang, beim Avemarialäuten, zurückkehrte. Nachdem er hierauf von sieben bis neun Empfang gehalten, aß er zu Abend, begab sich in sein Zimmer und kam nicht wieder zum Vorschein; er arbeitete allein oder legte sich nieder. Die Kardinäle begaben sich behufs Erledigung des Dienstes zwei- oder dreimal monatlich an bestimmten Tagen zum Papste. Aber seit beinahe einem Jahre war der Kardinalkämmerer nicht zur Privataudienz zugelassen worden. Das war ein Zeichen von Ungnade, ein Beweis von Krieg, und die ganze schwarze Gesellschaft sprach leise und vorsichtig davon.
»Seine Eminenz ist etwas schroff,« fuhr Don Vigilio fort. Er war in diesem Augenblick der Mitteilsamkeit froh, reden zu können. »Aber man muß ihn lächeln sehen, wenn seine Nichte, die Contessina, die er anbetet, hierher kommt, um ihn zu küssen ... Sie wissen, wenn Sie gut empfangen werden, so
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