Rom: Band 1
verdanken Sie es der Contessina.«
In diesem Augenblick wurde er unterbrochen. Aus dem zweiten Vorzimmer ertönte Stimmengeräusch; er erhob sich eilig und verbeugte sich tief, als er einen dicken Mann in schwarzer, rotgegürteter Sutane und einem schwarzen Hut mit einer Schnur in Rot und Gold eintreten sah, den der Abbé Paparelli mit einem großen Aufwand von demütigen Bücklingen hereingeleitete. Er hatte auch Pierre ein Zeichen gemacht, sich zu erheben, und konnte ihm noch zuflüstern:
»Der Kardinal Sanguinetti, Präfekt der Indexkongregation.«
Der Abbé Paparelli erschöpfte sich in Diensteifrigkeit und wiederholte mit fromm zufriedener Miene:
»Eure ehrwürdigste Eminenz wird erwartet. Ich habe Auftrag, Eure Eminenz sofort hinein zu führen ... Seine Eminenz der Großpönitentiarius ist schon da.«
Sanguinetti, der eine laute Stimme und einen dröhnenden Schritt besaß, hatte plötzlich eine Anwandlung von Vertraulichkeit.
»Ja, ja, ich bin durch eine Menge lästiger Leute zurückgehalten worden! Man kann nie, was man will. Nun, jetzt bin ich da.«
Er war ein Mann von sechzig Jahren, stämmig und dick, mit einem runden, gefurchten Gesicht, einer ungeheuren Nase, dicken Lippen und lebhaften, stets unruhigen Augen. Vor allem fiel an ihm sein jugendliches, beinahe stürmisch jugendliches Aussehen auf. Sein Haar war noch braun, kaum von silbernen Fäden durchzogen, sehr gepflegt und in Locken über die Schläfen gestrichen. Er war in Viterbo geboren und hatte seine Studien im Seminar dieser Stadt gemacht, ehe er nach Rom ging, um sie an der gregorianischen Universität zu vollenden. Seine geistliche Dienstliste bekundete sein rasches Aufsteigen, seinen geschmeidigen Geist. Zuerst war er Sekretär der Nuntiatur in Lissabon, dann wurde er zum Titularbischof von Theben ernannt und in einer heiklen Mission nach Brasilien geschickt; gleich nach seiner Rückkehr wurde er Nuntius in Brüssel, hierauf in Wien und zuletzt Kardinal, abgesehen davon, daß er eben das Suburbikarbistum von Frascati erlangt hatte. In Geschäften sehr erfahren, da er in ganz Europa praktizirt hatte, lag nichts gegen ihn vor, als daß er seinen Ehrgeiz allzusehr zur Schau trug und fortwährend Ränke spann. Es hieß jetzt, daß er unversöhnlich sei und von Italien die Rückgabe Roms forderte, obwohl er vordem dem Quirinal entgegengekommen war. In seiner rasenden Sucht, der nächste Papst zu werden, sprang er von einer Meinung zur andern und gab sich unendliche Mühe, Leute zu erobern, die er dann wieder im Stiche ließ. Bereits zweimal hatte er sich mit Leo XIII. überworfen, es dann aber für klug befunden, sich zu unterwerfen. Die Wahrheit war, daß er, der beinahe anerkannte Papstkandidat, sich durch seine fortwährenden Anstrengungen abnützte, sich in zu viele Dinge mischte und zu viele Leute in Bewegung setzte.
Pierre hatte jedoch in ihm nur den Präfekten der Indexkongregation gesehen und ward nur von einem einzigen Gedanken bewegt: nämlich, daß dieser Mann das Schicksal seines Buches entscheiden werde. Als daher der Kardinal verschwunden und der Abbé Paparelli in das zweite Vorzimmer zurückgekehlt war, konnte er sich nicht enthalten, Don Vigilio zu fragen:
»Ihre Eminenzen, der Kardinal Sanguinetti und der Kardinal Boccanera, sind wohl sehr befreundet?«
Ein Lächeln verzog die Lippen des Sekretärs, während in seinen Augen eine Ironie aufflammte, die er nicht mehr beherrschen konnte.
»Sehr befreundet – o nein, nein! ... Sie sehen sich, wenn sie nicht anders können.«
Und er erklärte, daß auf die hohe Geburt des Kardinals Boccanera Rücksicht genommen werde, so daß man sich gern in seinem Hause versammle, wenn, wie gerade heute, eine ernste Angelegenheit eine Zusammenkunft außer den gewöhnlichen Sitzungen fordere. Der Kardinal Sanguinetti war der Sohn eines kleinen Arztes in Viterbo.
»Nein, nein, Ihre Eminenzen find gar nicht befreundet. Wenn man weder dieselben Ideen noch denselben Charakter hat, ist es schwer, sich zu verständigen. Und vor allem, wenn man sich genirt!«
Er sagte das leiser, wie zu sich selbst, mit seinem schwachen Lächeln. Uebrigens hörte Pierre, ganz mit sich selbst beschäftigt, kaum zu.
»Haben sie sich vielleicht wegen einer Indexangelegenheit versammelt?« fragte er.
Don Vigilio mußte den Grund der Versammlung kennen. Aber er antwortete bloß, daß, wenn es sich um eine Indexangelegenheit handeln würde, die Versammlung beim Präfekten der Indexkongregation stattgefunden haben
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