Rom: Band 1
gebietend aus, als poche das Blut des Augustus in seinen Adern.
Pierre kannte seine Geschichte, und dieses Porträt beschwor sie ihm wieder herauf. Pio Boccanera, im adeligen Kollegium erzogen, hatte Rom nur ein einzigesmal verlassen; er war damals ein noch ganz junger Mann, erst Diakon, und hatte als Ablegat einen Kardinalshut nach Paris zu überbringen. Dann rollte sich seine geistliche Laufbahn sicher ab; die Ehrenämter fielen ihm auf ganz natürliche Weise zu, wie es seiner hohen Herkunft gebührte. Er wurde von Pius IX. eigenhändig geweiht, später zum Kanonikus an der vatikanischen Basilika und bestallten Geheimkämmerer, dann nach der italienischen Occupation zum Majordomo und endlich 1874 zum Kardinal ernannt. Seit vier Jahren war er Kardinalkämmerer, und man erzählte sich ganz leise, daß Leo XIII. ihn für dieses Amt auserwählt habe, so wie einst Pius IX. ihn selbst dazu auserwählte – um ihn von der Nachfolge auf den päpstlichen Thron auszuschließen. Denn wenn auch das Konklave bei seiner Wahl von der Tradition abgewichen war, derzufolge der Kardinalkämmerer nicht zum Papst gewählt werden konnte, so würde es zweifellos vor einer neuen Uebertretung dieser Tradition zurückschrecken. Man sagte auch, daß, gleichwie unter der früheren Regierung, ein heimlicher Kampf zwischen dem Papst und dem Kardinalkämmerer herrsche; der letztere stand abseits, verurteilte die Politik des Heiligen Stuhles, war in allem radikal entgegengesetzter Ansicht und wartete in der thatsächlichen Verborgenheit seines Amtes stumm auf den Tod des Papstes. Dieser Tod übertrug ihm bis zur Wahl des neuen Papstes die interimistische Gewalt, zugleich auch die Pflicht, das Konklave zu versammeln und über der Uebergangsverwaltung der kirchlichen Angelegenheiten zu wachen. Lag nicht der ehrgeizige Traum von der Papstwürde, der Traum von einer Wiederholung der Geschichte des Kardinals Pecci, der Kardinalkämmerer und doch Papst war, hinter dieser hohen, strengen Stirne, selbst in den Flammen dieser schwarzen Augen? Sein römischer Fürstenstolz kannte nur Rom; er setzte beinahe seinen Stolz darein, die moderne Welt gänzlich zu ignoriren. Im übrigen gab er sich sehr fromm, streng religiös, unerschütterlich gläubig, unfähig, den leisesten Zweifel zu hegen.
Aber ein Flüstern riß Pierre aus seinen Reflexionen. Es war Don Vigilio, der ihn zum Niedersetzen einlud.
»Es wird vielleicht lange dauern, Sie können sich einen Schemel nehmen,« sagte er mit seiner umsichtigen Miene.
Und er begann mit feiner Schrift einen großen, gelblichen Bogen zu bedecken, während Pierre sich maschinenmäßig, um nicht zu widersprechen, auf einem der längs der Wand, dem Porträt gegenüber stehenden Eichenschemel niederließ. Er versank in eine Träumerei, in der er den fürstlichen Prunk der Kardinäle von ehemals ringsum neu aufleben und auffunkeln sah. Vorerst gab der Kardinal am Tage seiner Ernennung Feste, Volksbelustigungen, von denen einige noch heute wegen ihrer Pracht angeführt werden. Drei Tage lang standen die Thüren der Empfangssäle offen; wer wollte, durfte eintreten, und von Saal zu Saal riefen sich die Thürhüter die Namen zu – Namen aus dem Patriziat, der Bürgerschaft, dem gemeinen Volk, kurz, von ganz Rom, das der neue Kardinal mit Herrschergüte empfing, ganz wie ein König seine Unterthanen. Dann wurde ein ganzes Königtum organisirt; manche Kardinäle brachten ehemals mehr als fünfhundert Personen mit sich, hatten einen Haushalt, der sechzehn Bureaux inbegriff, und hielten thatsächlich Hof. Selbst in neuerer Zeit, nachdem das Leben sich schon vereinfacht hatte, besaß ein Kardinal, wenn er Fürst war, ein Recht auf einen Galazug von vier mit Rappen bespannten Wagen. Vier Bediente in der Livree seiner Farben gingen ihm mit dem Hut, dem Kissen und den Sonnenschirmen voran. Außerdem begleitete ihn der Sekretär im Mantel aus lila Seide, der mit der Croccia, einer Art wattirtem Ueberrock aus violettem Wollstoffe mit seidenen Klappen, bekleidete Schleppträger und der Gentiluomo in der Tracht Henris II., der den Kardinalshut in den behandschuhten Händen trug. Der Haushalt umfaßte, obwohl er bereits vermindert war, noch den mit den Kongregationsarbeiten betrauten Auditor, den Sekretär, der sich einzig und allein mit der Korrespondenz beschäftigte, den Kammerherrn, der die Besucher einführte, den Gentiluomo, der den Kardinalshut trug, den Schleppträger, den Kaplan, den Haushofmeister, den Kammerdiener,
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