Rom: Band 1
leichte, von den Ruinen kommende kalte Hauch? Das erklärte, warum die weiten Säle so vernachlässigt waren, warum die seidenen Tapeten in Fetzen herabhingen, die Wappen von Staub gebleicht waren und die Milben den Kardinalshut verzehrten. Und dieser Fürst und Kardinal, dieser intransigente Katholik, der sich so in das wachsende Dunkel der Vergangenheit zurückzog und mit tapferem Soldatenherzen dem unvermeidlichen Zusammensturz der alten Welt trotzte, war von einer hoffnungslosen und prächtigen Größe.
Pierre wollte betroffen sich verabschieden, als eine kleine Tapetenthür sich öffnete. Boccanera fuhr ungeduldig auf.
»Was gibt's? Kann man mich nicht einen Augenblick in Ruhe lassen?«
Aber der Abbé Paparelli, der dicke, stille Schleppträger, trat trotzdem ein, ohne sich im geringsten aufzuregen. Er kam naher und flüsterte dem Kardinal, der sich bei seinem Anblick etwas beruhigt hatte, leise etwas ins Ohr.
»Was für ein Vikar? ... Ach ja, Santobono, der Vikar von Frascati. Ich weiß ... Sagen Sie ihm, daß ich ihn jetzt nicht empfangen kann.«
Paparelli sing abermals mit seiner dünnen Stimme zu flüstern an. Trotzdem hörte Pierre einzelne Worte: eine dringende Angelegenheit – der Vikar müßte wieder abreisen – er habe nur ein paar Worte zu sagen. Und ohne die Einwilligung des Kardinals abzuwarten, führte er den Besucher, seinen Schützling, herein. Er hatte ihn hinter der kleinen Thür stehen lassen. Dann verschwand er wieder mit der Ruhe eines Untergebenen, der sich trotz seiner niedrigen Stellung allmächtig weiß.
Pierre, den man ganz vergaß, sah einen baumlangen Priester eintreten. Er war wie mit der Axt zugehauen, ein Bauernsohn, der noch immer in enger Berührung mit dem Boden stand. Er hatte große Füße, knotige Hände, ein blatternarbiges, lohfarbiges Gesicht, das von schwarzen, sehr lebhaften Augen erhellt wurde. Für seine fünfundvierzig Jahre war er noch sehr kräftig und glich mit seinem schlecht geschnittenen Bart und der Sutane, die zu weit um seine hervorstehenden Knochen hing, ein wenig einem verkleideten Banditen. Aber die Physiognomie war stolz geblieben, nichts Niedriges lag darin. Er trug einen kleinen Korb, der sorgfältig mit Feigenblättern zugedeckt war.
Santobono bog sofort die Kniee und küßte den Ring; aber er machte es rasch wie eine einfache, gewöhnliche Höflichkeit ab.
»Ich bitte Eure ehrwürdigste Eminenz um Verzeihung, daß ich zudringlich war,« sagte er dann mit der ehrerbietigen Vertraulichkeit des niedern Volkes gegen die Großen. »Es warten viele Leute und ich wäre nicht empfangen worden, wenn mein alter Kamerad Paparelli nicht auf den Gedanken gekommen wäre, mich durch diese Thür eintreten zu lassen. O, ich habe Eure Eminenz um eine so große Gefälligkeit zu bitten, eine so riesige Gefälligkeit ... Aber vor allem erlauben mir Eure Eminenz, Ihnen ein kleines Geschenk anzubieten.«
Boccanera hörte ernst zu. In früheren Zeiten, als er den Sommer in Frascati in der fürstlichen Villa zuzubringen pflegte, welche die Familie dort besaß, hatte er ihn sehr gut gekannt. Die Villa war ein im sechzehnten Jahrhundert rekonstruirter Bau mit einem wundervollen Park, dessen berühmte Terrasse auf die römische Campagna hinausging, die ungeheuer und kahl wie das Meer war. Diese Villa war nun verkauft, und auf den auf Benedettas Teil gefallenen Weingärten hatte Graf Prada vor dem Scheidungsgesuch ein ganzes neues Viertel von kleinen Lusthäusern zu bauen begonnen. Vordem hatte der Kardinal es nicht verschmäht, auf seinen Spaziergängen einen Augenblick bei Santobono auszuruhen, der vor der Stadt eine alte, Santa Maria dei Campi geweihte Kapelle verwaltete. Der Priester bewohnte ein neben der Kapelle befindliches, halb zerfallenes altes Gemäuer, dessen Hauptreiz ein mit Mauern umgebener Garten war. Diesen pflegte er selbst mit der Leidenschaft eines echten Bauers.
»Ich wollte, daß Eure Eminenz so wie alle Jahre meine Feigen losten,« fügte er, indem er den Korb auf den Tisch stellte. »Es sind die ersten im heurigen Jahr und ich habe sie heute morgen für Eure Eminenz gepflückt. Eminenz aßen sie so gern, als Sie noch geruhten, zu kommen, um sie vom Baum zu essen! Und Eminenz geruhten zu sagen, daß kein Feigenbaum in der Welt solche Feigen hätte!«
Der Kardinal mußte lächeln. Er aß Feigen sehr gern und es war wahr: der Feigenbaum Santobonos war im ganzen Lande berühmt.
»Danke, lieber Abbé! Sie merken sich meine kleinen Schwächen ...
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