Rom: Band 1
Nun, was kann ich für Sie thun?«
Er war sofort wieder ernst geworden, denn zwischen ihm und dem Vikar gab es alte Streitigkeiten, verschiedene Anschauungen, die ihn erzürnten. Santobono, der aus Remi, einer ganz wilden Gegend, und aus einer gewaltthätigen Familie stammte, deren ältester Sohn durch einen Messerstich getötet worden war bekannte sich von jeher als feurigen Patrioten. Man erzählte sich, daß er beinahe mit Garibaldi zu den Waffen gegriffen habe, und an dem Tage, an dem die Italiener in Rom einzogen, mußte man ihn gewaltsam hindern, die Fahne der italienischen Einheit auf seinem Dache aufzupflanzen. Sein leidenschaftlicher Traum war, Rom als Herrin der Welt zu sehen, wenn Papst und König, nachdem sie sich umarmt hatten, gemeinschaftliche Sache mit einander machen würden. Der Kardinal hielt ihn für einen gefährlichen Revolutionär, einen abtrünnigen Priester, der den Katholizismus in Gefahr brachte.
»O, was Eure Eminenz für mich thun kann? Was Eure Eminenz thun können, wenn Sie nur geruhen wollten?« wiederholte Santobono in feurigem Ton, indem er seine derben, knotigen Hände faltete. Aber dann besann er sich und fuhr fort: »Hat Seine Eminenz der Kardinal Sanguinetti Eurer ehrwürdigsten Eminenz nichts von meiner Angelegenheit gesagt?«
»Nein. Der Kardinal bereitete mich bloß auf Ihren Besuch vor. Er sagte mir, daß Sie mich um etwas bitten wollten.«
Boccaneras Gesicht hatte sich verdüstert; er wartete mit noch strengerer Miene. Es war ihm nicht unbekannt, daß der Priester der Schützling Sanguinettis geworden war, seitdem der letztere als Suburbikarbischof von Frascati ganze Wochen dort zubrachte. Jeder Kardinal, der auf die Papstwürde kandidirt, hat solche geringe Vertraute hinter sich, die das ganze Streben ihres Lebens auf seine mögliche Wahl setzen: wenn er eines Tages Papst wird, wenn sie ihm helfen, es zu werden, treten sie in seinem Gefolge in die große päpstliche Hausgenossenschaft ein. Es ging das Gerücht, daß Sanguinetti dem Abbé Santobono bereits aus einer mißlichen Geschichte geholfen habe. Er hatte ein Kind, das Obst stehlen wollte, gerade dabei betroffen, als es über seine Mauer steigen wollte, und es war an den Folgen einer zu derben Züchtigung gestorben ... Aber zum Lobe des Priesters muß trotzdem hinzugefügt werden, daß seiner fanatischen Ergebenheit für den Kardinal Sanguinetti hauptsächlich die Hoffnung zu Grunde lag, daß er der erwartete Papst sein werde, der Papst, der bestimmt war, Italien zu der ersten Nation zu machen.
»Nun, dann werde ich mein Unglück erzählen ... Eure Eminenz kennen meinen Bruder Agostino. Er war zwei Jahre bei Ihnen als Gärtner in der Villa. Das ist doch gewiß ein sehr netter, sehr sanfter Mensch, über den niemand je zu klagen hatte ... Nun ist ihm – niemand kann sich erklären wieso – ein Unglück zugestoßen; er hat in Genzano eines Abends, als er auf der Straße spazieren ging, einen mit einem Messerstiche getötet ... Es ist mir höchst ärgerlich. Ich gäbe gern zwei Finger meiner Hand hin, wenn ich ihn aus dem Gefängnis herausbringen könnte. Und da habe ich mir gedacht, daß Eure Eminenz es mir nicht abschlagen werden, ihm ein Zeugnis auszustellen, in dem gesagt ist, daß Agostino im Dienste Eurer Eminenz stand und daß Eure Eminenz mit ihm immer sehr zufrieden waren.«
Der Kardinal protestirte rund heraus.
»Nein, ich war mit Agostino durchaus nicht zufrieden. Er war von einer geradezu tollen Heftigkeit und ich mußte ihn eben aus dem Grunde entlassen, weil er mit der andern Dienerschaft fortwährend im Streit lebte.«
»O, wie kränkt mich das, was Eure Eminenz mir da sagen! Der Charakter meines armen, kleinen Agostino ist also wirklich verdorben worden! Aber die Sache läßt sich noch machen, nicht wahr? Eure Eminenz können mir trotzdem ein Zertifikat geben – in anderen Ausdrücken abgefaßt. Ein Zertifikat Eurer Eminenz würde vor dem Richter einen so guten Eindruck machen.«
»Gewiß, ich verstehe,« antwortete Boccanera. »Aber ich gebe kein Zertifikat.«
»Was! Eure ehrwürdigste Eminenz wollen nicht?«
»Entschieden nicht! ... Ich weiß, daß Sie ein vollständig moralischer Priester sind, daß Sie Ihrem heiligen Amte mit Eifer obliegen und überhaupt ein ganz schätzbarer Mann wären ohne Ihre politischen Ansichten. Aber Ihre brüderliche Liebe führt Sie irre. Ich kann nicht lügen, um Ihnen gefällig zu sein.«
Santobono sah ihn verblüfft an. Er begriff nicht, daß ein Fürst,
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