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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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, wie man bei Ihnen in Frankreich sagt, nicht wahr, Herr Froment? Aber es steht darum doch fest, daß Italien tot ist, wenn man das Problem nicht von unten anfaßt, das heißt, wenn man nicht das Volk bildet; und nur auf eine Weise ist es möglich, ein Volk, Menschen zu schaffen, nämlich, indem man sie unterrichtet, indem man durch den Unterricht diese ungeheure, verlorene Kraft entwickelt, die heutzutage in Unwissenheit und Faulheit verkommt ... Ja, ja, Italien ist geschaffen, schaffen wir jetzt Italiener. Bücher her, Bücher her! Und immer mehr vorwärts, mehr in die Wissenschaft, mehr in die Klarheit hinein, wenn wir leben, gut, gesund und stark sein wollen!«
    Der alte Orlando, der sich halb erhoben hatte, war mit seinem mächtigen Löwenkopf herrlich anzusehen; das blendende Weiß des Bartes und Haares loderte. Und sein Hoffnungsschrei hatte mit einem solchen Fieber des Vertrauens durch dieses reine, in seiner gewollten Armut so rührende Zimmer geklungen, daß der junge Priester eine andere Gestalt vor sich aufsteigen sah: die Gestalt des Kardinals Boccanera, ganz dunkel, nur das Haar weiß wie Schnee, ebenfalls bewunderungswürdig in ihrer heldenhaften Schönheit, hoch aufgerichtet inmitten seines in Trümmer zerfallenden Palastes, dessen vergoldete Decke über ihm zusammenzubrechen drohte. O, die großen Starrköpfe, die Gläubigen, die Alten, die mannhafter und leidenschaftlicher bleiben als die Jungen! Diese beiden befanden sich an den zwei entgegengesetzten Enden der Meinungen, da sie nicht eine gemeinsame Idee, nicht eine gemeinsame Liebe besaßen, und doch schienen sie in diesem antiken Rom, wo alles in Staub verflog, allein unzerstörbar und wie zwei getrennte Brüder unbeweglich am Horizonte zu stehen und über die Stadt hinweg ihren Protest zu erheben! Der Anblick dieser beiden in ihrer Größe, ihrer Einsamkeit, ihrer Unbeteiligtheit an der täglichen Gemeinheit erfüllte einen Tag mit einem Traum der Ewigkeit.
    Prada hatte sofort mit kindlich zärtlichem Druck die Hände des Greifes ergriffen, um ihn zu beruhigen.
    »Ja, ja, Vater, Sie haben recht, Sie haben immer recht, und ich bin ein Dummkopf, daß ich Ihnen widerspreche. Ich bitte Sie, bewegen Sie sich nicht so viel, denn Sie decken sich auf, Ihre Beine werden wieder kalt werden.«
    Und er kniete nieder, um die Decke mit unendlicher Sorgfalt zu ordnen; dann blieb er trotz seiner zweiundvierzig Jahre wie ein kleiner Knabe auf der Erde liegen und schlug die feuchten, in stummer Anbetung flehenden Augen zu dem Vater empor, während der alte Mann, beruhigt und sehr gerührt, ihm mit zitternden Fingern das Haar streichelte.
    Pierre hatte hier schon beinahe zwei Stunden verweilt; endlich empfahl er sich, von allem, was er gesehen und gehört, sehr betroffen und sehr gerührt. Er mußte von neuem versprechen, wiederzukommen, um lange zu plaudern. Draußen ging er aufs Geratewohl weiter. Es war kaum vier Uhr; er hatte die Absicht, in dieser köstlichen Stunde, wo die Sonne an dem erfrischten, unermeßlichen, blauen Himmel niederging, ohne eine im voraus bestimmte Marschroute quer durch Rom zu schlendern. Aber fast gleich darauf befand er sich in der Via Nazionale, durch die er tags zuvor bei seiner Ankunft zu Wagen gekommen war; er erkannte die weißliche, maßlos große Bank, die grünen, zum Quirinal aufsteigenden Berge, die Pinien der Villa Aldobrandini; dann, bei der Biegung, als er stehen blieb, um sich die Trojansäule wieder anzusehen, die sich letzt im Dunkel, im Hintergründe des bereits von der Dämmerung erfüllten Platzes abhob, sah er zu seiner Ueberraschung plötzlich eine Viktoria anhalten, aus der ihn ein junger Mann höflich anrief, indem er dabei leicht mit der Hand winkte.
    »Herr Abbé Froment! Herr Abbé Frommt!«
    Es war der junge Fürst Dario Boccanera, der seine tägliche Spazierfahrt auf dem Corso machen wollte. Fast immer in Geldnot, lebte er nur noch von der Freigebigkeit seines Oheims, des Kardinals. Aber wie alle Römer hätte er im Notfall von Wasser und Brot gelebt, um seinen Wagen, sein Pferd und seinen Kutscher zu behalten. In Rom ist ein Wagen ein unentbehrlicher Luxus.
    »Herr Abbé Froment, wenn Sie einsteigen wollen, so wird es mich sehr freuen, Ihnen ein bißchen unsere Stadt zu zeigen.«
    Ohne Zweifel wollte er Benedetta ein Vergnügen bereiten, indem er liebenswürdig gegen ihren Schützling war. Außerdem machte es ihm in seinem Müßiggang Freude, den jungen Priester, der, wie es hieß, so intelligent war, in

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