Rom: Band 1
würden.«
»Ach nein, ach nein! ... Ich weiß ja, daß Du mich liebst, mein guter Luigi; aber ich bitte Dich, laß meinem alten Kopf seinen Willen. Nur so bin ich glücklich.«
Pierre ward sehr betroffen von der innigen Zuneigung, die aus den Blicken der beiden Männer stammte, während sie sich Aug' in Auge betrachteten. Das kam ihm unendlich rührend, großartig schon vor, da doch so viele entgegengesetzte Ideen und Handlungen, so viele Streitigkeiten, die einen moralischen Bruch herbeigeführt hatten, sie von einander trennten.
Er verglich sie mit Interesse. Graf Prada, kürzer, stämmiger gebaut, hatte ganz denselben energischen, starken, mit steifem, schwarzem Haar bewachsenen Kopf, dieselben freimütigen, etwas harten Augen wie sein Vater. Das von einem dicken Schnurrbart durchkreuzte Gesicht besaß eine klare Hautfarbe. Aber der Mund war anders; es war ein Mund mit einem Wolfsgebiß, sinnlich und gefräßig, ein beutelustiger Mund, geschaffen für den Abend nach der Schlacht, wenn es sich nur noch darum handelt, den Sieg der anderen anzubeißen. Das war auch der Grund, warum die Leute sagten, wenn man seine freimütigen Augen lobte: »Ja, aber sein Mund gefällt mir nicht.« Die Füße waren stark, die Hände dick und zu groß, aber sehr schön.
Pierre staunte, daß er ganz so war, wie er ihn erwartet hatte. Er kannte seine Geschichte genau genug, um sich ein Bild des Heldensohnes zusammenzustellen, den der Sieg verdorben hat, der mit vollem Munde die von dem glorreichen Degen des Vaters geschnittene Ernte verzehrt. Besonders studirte er, wie die Tugenden des Vaters entstellt worden waren, wie sie sich bei dem Kinde in Laster verwandelt hatten; die edelsten Eigenschaften waren entartet, die heldenmütige, uneigennützige Energie wurde zur wilden Genußlust, der Mann der Schlacht zum Mann der Beute, seit die großen Gefühle der Begeisterung schwiegen, seit man sich nicht mehr schlug und inmitten der aufgehäuften Siegesbeute in Ruhe plünderte und verschlang. Und der Held, der gelähmte, zur Unbeweglichkeit verurteilte Vater, mußte dieser Entartung des Sohnes, des mit Millionen vollgestopften Geschäftchenmachers beiwohnen!
Aber nun stellte Orlando Pierre vor.
»Der Herr Abbé Pierre Froment, von dem ich Dir erzählt habe – der Verfasser des Buches, das ich Dir zum Lesen gab.«
Prada war sehr liebenswürdig und begann sofort von Rom zu sprechen; er that es mit intelligenter Leidenschaft wie einer, der eine große, moderne Hauptstadt daraus machen wollte. Er hatte das nach dem zweiten Kaiserreich verwandelte Paris, das nach den deutschen Siegen vergrößerte und verschönerte Berlin gesehen, und wenn Rom sich der Bewegung nicht anschlösse, wenn es nicht eine große Stadt würde, die ein großes Volk bewohnen könnte, so war es, seiner Ansicht nach, von einem schnellen Tode bedroht. Entweder ein zusammenbröckelndes Museum oder eine neugeschaffene, auferstandene Stadt.
Sehr eingenommen, beinahe schon bestochen, hörte Pierre dem gewandten Manne zu, dessen fester und klarer Geist ihn bezauberte. Er wußte, mit welcher Geschicklichkeit er bei dem Handel mit der Villa Montefiori vorgegangen war; er hatte sich dabei bereichert, wo so viele andere zu Grunde gegangen waren, da er zweifellos die verhängnisvolle Katastrophe schon in dem Augenblicke vorausgesehen hatte, da die Agiowut noch die gesamte Nation bethörte. Trotzdem entdeckte er auf diesem willenskräftigen, energischen Gesichte bereits Zeichen der Ermüdung, vorzeitige Runzeln, ein Herabhängen der Lippen, als ob der Mann des fortwährenden Kampfes inmitten der angrenzenden Einstürze, die den Boden untergruben und durch den Rückschlag auch die am festesten sitzenden Vermögen mitzureißen drohten, überdrüssig sei. Man erzählte, daß Prada in letzter Zeit ernste Befürchtungen gehabt hatte; nichts mehr stand fest, alles konnte in der finanziellen Krise, die sich von Tag zu Tag verschlimmerte, verschlungen werden. Bei diesem rauhen Sohne Norditaliens entstand unter dem verweichlichenden, verderbenden Einfluß Roms eine Art Verfall, eine langsame Fäulnis, Alle seine Begierden hatten sich hier auf ihre Befriedigung gestürzt und er erschöpfte sich, indem er allen – der Begierde nach dem Geld, der Begierde nach dem Weibe – hier Genüge that. Daher rührte die große, stumme Trauer Orlandos; denn er sah diesen raschen Verfall seiner Erobererrasse, während Sacco, der Süditaliener, von dem Klima gleichsam unterstützt, wie geschaffen für
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