Rom: Band 1
immer lachend gab er etwas freie Details über den Akt.
»Luigi!« sagte Orlando leise, indem er mit einem Blick auf den jungen Priester wies.
»Ja, ich schweige schon. Sie haben recht, Vater. Aber es ist wirklich so abscheulich, so lächerlich ... Sie kennen doch Lisbeth?«
Orlando antwortete nicht.
Lisbeth Kauffmann, kaum dreißig Jahre alt, hochblond, sehr rosig und stets von lachender Heiterkeit, gehörte der Fremdenkolonie an; sie war Witwe, ihr Gatte war vor zwei Jahren in Rom gestorben, wohin er gekommen war, um von einer Brustkrankheit zu genesen. Da sie frei und reich genug war, um niemand zu bedürfen, war sie in Rom geblieben, wo es ihr gefiel, da sie eine leidenschaftliche Kunstfreundin war und selbst etwas Malerei trieb; sie hatte sich in der Via Principe Amadea, in einem neuen Viertel, einen kleinen Palast gekauft, und dessen großer, in ein Atelier verwandelter, zu jeder Jahreszeit von Blumen durchdufteter und mit alten Stoffen behangener Saal im zweiten Stockwerk war in der liebenswürdigen und intelligenten Gesellschaft Roms wohlbekannt. Dort bewegte sie sich, in lange Blusen gekleidet, in ihrer beständigen Fröhlichkeit, war etwas keck, machte furchtbare Witze, gehörte aber zur guten Gesellschaft und hatte sich außer mit Prada noch nicht kompromittirt.
Er hatte ihr zweifellos gefallen; sie gab sich ihm, als seine Frau ihn verließ, einfach hin und war im siebenten Monat guter Hoffnung. Sie verbarg das nicht und sah so ruhig und glücklich aus, daß ihr riesiger Bekanntenkreis fortfuhr, sie zu besuchen, als sei das in dem leichten, freien Leben großer kosmopolitischer Städte von gar keiner Bedeutung. In den Umständen, in denen der Graf sich befand, entzückte ihn natürlich diese Schwangerschaft und wurde in seinen Augen der beste Beweis gegen die Beschuldigung, unter der sein Mannesstolz litt. Aber ohne daß er es sich eingestand, blutete die unheilbare Wunde im Grunde seines Herzens darum nicht minder, denn weder diese bevorstehende Vaterschaft noch der schmeichelhafte Besitz der unterhaltenden Lisbeth entschädigten für die Bitterkeit der Weigerung Benedettas: diese brannte er, zu besitzen, diese hätte er schrecklich strafen mögen, weil er sie nicht besessen hatte.
Pierre, der keine Kenntnis von diesem Abenteuer Luigis halte, konnte das Gespräch nicht verstehen. Da er befangen war und sich eine Haltung geben wollte, ergriff er einen auf dem Tisch unter den Zeitungen liegenden, dicken Band; er war erstaunt, hier einem klassischen, französischen Werk, einem jener Handbücher für das Baccalaureat, zu begegnen, die einen Abriß der im Programm verlangten Kenntnisse enthalten. Es war nur ein bescheidenes, praktisches Buch für den ersten Unterricht, aber es handelte notgedrungen von der ganzen Mathematik, von der ganzen Physik, Chemie und Naturlehre, so daß es im großen und ganzen die Eroberungen des Jahrhunderts, den gegenwärtigen Stand des menschlichen Geistes kurz zusammenfaßte.
»Ah, Sie sehen das Buch meines allen Freundes Theophil Moria an!« rief Orlando, über die Ablenkung erfreut. »Sie wissen, er war einer der Tausend von Marsala und hat mit uns Sizilien und Neapel erobert. Ein Held! ... Und seit mehr als dreißig Jahren ist er wieder nach Frankreich auf seine einfache Professorkanzel zurückgekehrt, durch die er wahrlich nicht reich geworden ist. So hat er denn dieses Buch veröffentlicht, das, scheint's, so gut geht, daß er auf den Gedanken verfiel, durch Uebersetzungen, unter anderen auch durch eine italienische Uebersetzung, noch einen kleinen Nutzen daraus zu ziehen ... Wir sind Brüder geblieben; er gedachte meinen Einfluß zu benützen, den er für maßgebend hält. Ach, er täuscht sich! Ich fürchte, es wird mir nicht gelingen, das Werk durchzubringen.«
Prada, der wieder sehr korrekt und bezaubernd geworden war, zuckte leicht die Achseln, voll Skeptizismus über seine Zeitgenossen, die einzig und allein darauf bedacht sind, die bestehenden Dinge aufrecht zu erhalten, um so viel Nutzen als möglich daraus zu ziehen.
»Wozu?« murmelte er. »Zu viele Bücher! Zu viele Bücher!«
»Nein, nein, es gibt nie zu viele Bücher,« entgegnete der Greis leidenschaftlich. »Wir brauchen Bücher, immer mehr Bücher! Durch das Buch, nicht durch das Schwert, wird die Menschheit die Lüge und Ungerechtigkeit besiegen, den endgültigen Bruderfrieden unter den Völkern erobern. Ja, Du lächelst. Ich weiß. Du nennst das meine achtundvierziger Ideen, ›de vieille barbe‹
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