Rom - Band II
seinen grimmigen Erobererbegriffen, ganz dem Kampf ums Leben hingegeben, hatte er es stets für das Beste gehalten, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen; abgesehen davon, sah er nichts Böses darin, wenn ein Priester den andern auffraß: das belustigte seinen Atheismus. Er bedachte auch, daß es gefährlich sein könnte, sich in diese abscheuliche Geschichte, in die niedrigen, verdächtigen und unergründlichen Intriguen der schwarzen Gesellschaft zu mengen. Aber der Kardinal befand sich im Palazzo Boccanera nicht allein: konnten die Feigen nicht an die unrichtige Adresse, an andere Personen gelangen, denen man nicht schaden wollte? Dieser Gedanke an einen empörenden Zufall verfolgte ihn jetzt, und ohne daß er seine Gedanken dabei verweilen lassen wollte, stiegen die Gestalten Benedettas und Darios vor ihm auf; trotz seiner Bemühungen, sie nicht zu sehen, kehrten sie wieder und drängten sich ihm auf. Wie, wenn Benedetta, wenn Dario von diesen Früchten aßen? Den Gedanken an Benedetta schob er sogleich beiseite, denn er wußte, daß sie mit ihrer Tante eigenen Tisch führte, daß zwischen den beiden Küchen nichts Gemeinsames bestand. Aber Dario frühstückte jeden Morgen mit seinem Oheim. Einen Augenblick sah er Dario vor sich, wie er von einem Krampf ergriffen wurde und gleich dem armen Monsignore Gallo, mit grauem Gesicht und eingefallenen Augen, binnen zwei Stunden hingerafft, in die Arme des Kardinals sank.
Nein, nein, das war schrecklich! Einen solchen Greuel konnte er nicht zulassen. Sein Entschluß war also gefaßt. Er wollte abwarten, bis die Nacht vollständig hereingebrochen sei, dann ganz einfach den Korb von den Knieen des Pfarrers nehmen und ihn aufs Geratewohl, ohne ein Wort zu sprechen in irgend ein dunkles Loch werfen. Der Pfarrer würde es verstehen. Der andere, der Junge, würde das Abenteuer vielleicht nicht einmal bemerken. Uebrigens lag daran wenig, denn er war fest entschlossen, seine Handlung nicht einmal zu erklären. Er fühlte sich nun ganz beruhigt, als ihm der Gedanke kam, den Korb in dem Augenblick hinauszuwerfen, wo der Wagen, einige Kilometer vor Rom, durch die Porta Furba fahren würde. Im Dunkel dieses Thores würde das sehr gut gehen; man konnte dort nichts sehen.
»Wir haben uns verspätet und werden nun nicht vor sechs Uhr in Rom sein,« fuhr er ganz laut fort, indem er sich zu Pierre wendete. »Aber Sie werden noch Zeit haben, sich anzukleiden und Ihren Freund aufzusuchen.«
Dann wandte er sich, ohne die Antwort abzuwarten, zu Santobono:
»Ihre Feigen werden recht spät kommen.«
»O, Seine Eminenz empfängt bis acht Uhr,« sagte der Pfarrer. »Und dann gehören ja die Feigen nicht für heute abend. Abends ißt man keine Feigen. Sie gehören für morgen früh.«
Er versank wieder in sein Schweigen und sprach nichts mehr.
»Für morgen früh! Ja, ja, gewiß,« wiederholte Prada. »Der Kardinal wird sich damit wirklich regaliren können, wenn niemand ihm dabei hilft.«
Nun sagte Pierre unbesonnenerweise etwas, was er wußte.
»Er wird sie zweifellos allein essen, denn sein Neffe, Fürst Dario, sollte heute nach Neapel abreisen – eine kleine Erholungsreise nach dem Unfall, der ihn einen vollen Monat ans Bett fesselte.«
Er hielt plötzlich inne, denn er bedachte, mit wem er sprach. Aber der Graf hatte seine Verlegenheit bemerkt.
»Nun, nun, mein lieber Herr Froment, Sie kränken mich damit durchaus nicht. Das ist ja schon eine sehr alte Geschichte ... Der junge Mann ist also abgereist, sagen Sie?«
»Ja, außer wenn er seine Abreise verschoben hätte. Ich erwarte nicht, ihn noch im Palaste anzutreffen.«
Einen Augenblick hörte man abermals nichts mehr, als das fortwährende Rollen der Räder. Prada schwieg; er wurde wieder von Unruhe, dem Unbehagen der Unsicherheit ergriffen. In was wollte er sich mengen, da ja Dario nicht in Rom war? Alle diese Betrachtungen ermüdeten ihm den Kopf und zuletzt dachte er ganz laut.
»Wenn er abgereist ist, so muß das der Konvenienz halber geschehen sein, um dem Feste bei den Buongiovannis nicht beizuwohnen; denn die Konzilkongregation hat sich heute früh versammelt, um in dem Prozeß, den die Gräfin gegen mich angestrengt hat, das endgiltige Urteil zu sprechen ... Ja, ich werde sogleich wissen, ob die Annullirung unserer Ehe vom heiligen Vater unterzeichnet werden wird.«
Seine Stimme war etwas heiser geworden; man fühlte, daß die alte Wunde sich wieder öffnete und blutete – die Wunde, die seinem Mannesstolze von der
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