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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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Eine zweite Erinnerung durchzuckte ihn scharf wie eine Klinge – die Erinnerung an die kleine, schwarze Henne in der düsteren Umgebung der Osteria, die, wie vom Blitz getroffen, mit dem dünnen, ins Violette spielenden Blutstrom, der ihr aus dem Schnabel floß, tot unter dem Schuppen lag. Und hier, am Fuße der Stange, lag geradeso Tata, das Papageienweibchen, schlaff und warm, den Schnabel von einem Blutstropfen befleckt. Warum also hatte Prada gelogen, indem er ihm von einem Kampf erzählte? Es war eine ganze Verwicklung von dunklen Leidenschaften und Kämpfen, in deren Nacht Pierre sich nicht mehr auskannte, ebenso wie er sich nicht den furchtbaren Kampf vorzustellen vermochte, der während der Ballnacht in dem Gehirn dieses Mannes stattgefunden haben mußte. Er konnte ihn sich nicht wieder an seiner Seite denken, seine Gestalt während des morgendlichen Spazierganges bis zum Palaste Boccanera heraufbeschwören, ohne zu zittern; denn er erriet insgeheim all das Entsetzliche, was sich an dieser Thüre entschieden hatte. Uebrigens, ob er es aus Haß gegen den Kardinal oder eher in der Hoffnung auf einen verirrten Pfeil gethan hatte, der ihn auf gut Glück, durch einen grausamen Zufall rächen würde, die schreckliche Thatsache stand, trotz der Dunkelheiten und Unmöglichkeiten, fest: Prada wußte es, Prada hätte den Gang des Schicksals aufhalten können, und hatte das Schicksal sein blindes Todeswerk vollenden lassen.
    Aber als Pierre den Kopf wandte, sah er Don Vigilio so verstört und so bleich abseits auf dem Stuhle sitzen, von dem er sich nicht gerührt hatte, daß er glaubte, es habe ihn auch getroffen.
    »Sind Sie leidend?«
    Anfangs schien der Sekretär nicht antworten zu können, derart preßte ihm der Schreck die Kehle zusammen. Dann sagte er mit leiser Stimme:
    »Nein, nein, ich habe nichts davon gegessen ... O großer Gott, wenn ich bedenke, daß ich große Lust dazu hatte, und nur die Ehrerbietung mich davon abhielt, da ich Seine Eminenz nicht essen sah!«
    Bei dem Gedanken, daß bloß seine Demut ihn gerettet hatte, schüttelte ein leichter Fieberfrost seinen ganzen Körper, und auf seinen Händen, auf seinem Gesicht blieb die Kälte des nahen Todes zurück, dessen Vorüberstreifen er gefühlt hatte.
    Zuletzt seufzte er zweimal auf, während er in seinem Schrecken das Furchtbare mit einer Geberde von sich schob.
    »Ah, Paparelli, Paparelli!« murmelte er.
    Sehr bewegt, bemühte sich Pierre, der wußte, wie er über den Schleppträger dachte, mehr von ihm zu erfahren.
    »Wie? Was wollen Sie damit sagen? Beschuldigen Sie ihn? ... Glauben Sie also, daß sie ihn dazu getrieben haben, kurz, daß sie es sind?«
    Das Wort »Jesuiten« wurde nicht einmal ausgesprochen; aber der große, schwarze Schatten glitt durch den hellen Sonnenschein des Speisesaales, den er einen Augenblick zu verdunkeln schien.
    »Sie!« rief Don Vigilio. »Ach ja! Sie sind es überall, sie sind es jederzeit! Wo man weint, wo man stirbt, sind sie dabei, sind sie es! Und es war für mich; ich wundere mich, daß ich nicht dabei auf dem Platze geblieben bin!«
    Dann stieß er abermals seine dumpfe Klage voll Haß, Abscheu und Zorn aus:
    »Ah, Paparelli, Paparelli!«
    Und er verstummte; er wollte nicht mehr antworten, und sah mit seinen verstörten Blicken die Wände des Saales an, als würde er den Schleppträger mit seinem schlaffen, runzeligen Altjungferngesicht, den trippelnden Schritten einer nagenden Maus, den geheimnisvollen, räuberischen Händen, die den vergessenen Korb Feigen aus der Anrichtestube heraufgeholt hatten, um ihn auf die Tafel zu setzen, daraus hervortreten sehen.
    Nun entschlossen sich beide, in das Zimmer zurückzukehren, wo man ihrer vielleicht bedurfte, und Pierre wurde beim Eintreten von dem herzzerreißenden Schauspiel gepackt, den es darbot. Seit einer halben Stunde hatte Doktor Giordano, der Gift vermutete, vergeblich die üblichen Mittel, ein Brechmittel, dann Magnesia angewendet, ja sogar von Victorine Eiweiß in Wasser schlagen lassen. Aber das Uebel verschlimmerte sich so blitzähnlich schnell, daß jetzt alle Hilfe nutzlos ward. Dario, entkleidet auf dem Rücken liegend, den Oberkörper von Kissen gestützt und die Arme längs des Körpers ausgestreckt, sah erschreckend aus; er befand sich in jener Art angstvoller Trunkenheit, dem Kennzeichen dieses geheimnisvollen, furchtbaren Nebels, dem bereits Monsignore und viele andere erlegen waren. Die Betäubung des Schwindels schien ihn befallen zu haben,

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