Rom - Band III
seine Augen sanken immer tiefer in die schwarzen Augenhöhlen ein, während das Gesicht zusehends vertrocknete, alterte und von einem grauen, erdfarbenen Schatten überzogen ward. Seit einer Weile hatte er ganz erschöpft die Augen geschlossen; nichts Lebendes war mehr an ihm als die bedrückten, mühsamen, langen Atemzüge, die seine Brust hoben. Und daneben, über das arme Gesicht des Sterbenden gebeugt, stand Benedetta; sie litt seine Schmerzen mit, und ein solcher ohnmächtiger Schmerz hatte sie überkommen, daß sie selbst unkenntlich, so blaß, so rasend vor Angst aussah, als hätte der Tod auch sie nach und nach, gleichzeitig mit ihm ergriffen.
In der Fensternische, in die der Kardinal Boccanera den Doktor Giordano geführt hatte, wurden mit leiser Stimme ein paar Worte gewechselt.
»Er ist verloren, nicht wahr?«
Der Doktor, selbst ganz außer sich, machte die verzweifelte Geberde eines Besiegten.
»Leider, ja. Ich muß Eure Eminenz darauf vorbereiten, daß in einer Stunde alles vorbei sein wird.«
Ein kurzes Schweigen herrschte.
»Aber es ist dieselbe Krankheit wie bei Gallo, nicht wahr?«
Und da der Doktor nicht antwortete, sondern zitternd wegschaute, setzte er hinzu:
»Kurz, ein ansteckendes Fieber?«
Giordano verstand sehr wohl, was der Kardinal von ihm verlangte. Er forderte Schweigen; das Verbrechen sollte um des guten Rufes seiner Mutter, der Kirche, willen für ewig begraben werden. Es gab nichts, was so groß, von einer so hohen, tragischen Grüße gewesen wäre, als dieser noch so aufrechte und erhabene Greis von siebenzig Jahren, der nicht wollte, daß seine geistliche Familie verfalle, ebenso wenig wie er es litt, daß man seine menschliche Familie durch den unvermeidlichen Schmutz eines aufsehenerregenden Prozesses schleppte. Nein, nein! Schweigen, ewiges Schweigen, in dem alles ruht und vergessen wird!
Der Doktor verneigte sich zuletzt mit seiner sanften, klerikal verschwiegenen Miene.
»Ja, es ist offenbar ein ansteckendes Fieber, wie Eure Eminenz so richtig bemerken.«
Gleich darauf erschienen wieder große Thränen in den Augen Boccaneras. Jetzt, da er Gott geschützt hatte, blutete seine menschliche Natur von neuem. Er flehte den Arzt an, eine letzte Anstrengung zu machen, das Unmögliche zu versuchen; aber dieser schüttelte den Kopf und deutete mit seinen armen, zitternden Händen auf den Kranken. Für seinen Vater, für seine Mutter hätte er nicht mehr thun können. Der Tod war da. Wozu einen Sterbenden ermüden und quälen, da er dessen Schmerzen nur noch verschlimmert hätte? Und da der Kardinal angesichts der nahen Katastrophe an seine Schwester Serafina dachte, in Verzweiflung war, daß sie ihren Neffen nicht noch zum letztenmal umarmen könne, wenn sie sich im Vatikan, wo sie sein mußte, verspätete, so erbot sich der Arzt, sie in seinem Wagen, den er unten hatte warten lassen, abzuholen. Das war eine Sache von zwanzig Minuten; er würde wieder zurück sein, wenn man seiner in den letzten Augenblicken bedürfte.
Als der Kardinal in der Fensternische allein blieb, stand er noch einen Augenblick unbeweglich still. Seine von Thränen verdunkelten Augen sahen durch das Fenster den Himmel an, und seine bebenden Arme streckten sich mit innigem Flehen aus. O Gott, da die Wissenschaft der Menschen so kurz und so eitel ist, da dieser Arzt, froh, der Verlegenheit über seine Ohnmacht zu entgehen, davoneilte – o Gott, warum thust du nicht ein Wunder, um den Glanz deiner grenzenlosen Macht zu zeigen! Ein Wunder, ein Wunder! Er verlangte es aus der Tiefe seiner gläubigen Seele, dringend, mit dem gebieterischen Gebet eines irdischen Fürsten, der dem Himmel durch sein ganzes, der Kirche geweihtes Leben einen beträchtlichen Dienst erwiesen zu haben glaubt. Er verlangte es für die Fortsetzung seines Geschlechtes, damit der letzte männliche Sprosse nicht so elend verschwinde, damit er diese vielgeliebte, nun so bitterlich weinende und so unglückliche Base heiraten könne. Ein Wunder, ein Wunder zu Gunsten dieser beiden teuren Kinder! Ein Wunder, das die Familie wieder erstehen ließ! Ein Wunder, das den glorreichen Namen der Boccanera verewigte, indem es aus diesen jungen Gatten eine zahllose Reihe von tapferen und gläubigen Nachkommen ausgehen ließ!
Als der Kardinal wieder in die Mitte des Zimmers zurückkehrte, schien er verwandelt zu sein; der Glaube hatte seine Augen getrocknet, seine Seele war fortan stark und ergeben, aller Schwäche ledig. Er hatte sich wieder in die
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