Rom - Band III
ich aber später neutral blieb, wenn ich mich stellte, als interessirte ich mich für die Sache nicht, so daß ich sogar die Sitzung versäumte, in der das Urteil gefällt wurde, so geschah das nur, um meiner armen, lieben Nichte ein Vergnügen zu machen – sie liebte Sie, sie verteidigte Sie ...«
Die Thränen überwältigten ihn wieder; er unterbrach sich, denn er fühlte, daß er wieder schwach werden müßte, wenn er das Andenken Benedettas, der Angebeteten, der Beweinten heraufbeschwören würde. Darum fuhr er mit streitbarer Herbigkeit fort:
»Aber, mein lieber Sohn, gestatten Sie es mir, zu sagen, daß es ein fluchwürdiges Buch ist! Sie haben mir beteuert, daß Sie das Dogma respektirten, und ich frage mich noch immer, durch welche Verirrung Sie in eine solche Verblendung geraten konnten, daß Sie selbst das Bewußtsein Ihres Verbrechens verloren! Das Dogma respektiren – großer Gott, wenn das ganze Werk die Verneinung unserer heiligen Religion selbst ist! Sie haben also nicht gefühlt, daß eine neue Religion verlangen die alte, die einzig wahre, die einzig gute, die einzig ewige vollständig verdammen heißt? Das genügte, um aus Ihrem Buche das tödlichste Gift, eines jener schmachvollen Bücher zu machen, die einst durch Henkershand verbrannt wurden, heutzutage aber notgedrungenerweise im Umlauf gelassen werden, nachdem man sie mit dem Interdikt belegt und gerade dadurch der perversen Neugierde bezeichnet hat, was die ansteckende Fäulnis des Jahrhunderts erklärt ... Ach, gar wohl habe ich darin die Ideen unseres ausgezeichneten, poetischen Verwandten, des lieben Vicomte Philibert de la Choue erkannt! Ein Literat ist er, ja, ein Literat! Literatur, nichts als Literatur! Ich bitte Gott, ihm zu verzeihen, denn er weiß sicherlich weder was er thut noch wohin er mit seinem elegischen Christentum steuert, das für schönrednerische Arbeiter und für junge Leute beiderlei Geschlechts bestimmt ist, deren Seele durch die Wissenschaft unbestimmter Gattung geworden ist. Ich behalte meinen Zorn nur für Seine Eminenz den Kardinal Bergerot auf, denn dieser weiß, was er thut, thut, was er will ... Sagen Sie nichts, verteidigen Sie ihn nicht. Er bedeutet die Revolution in der Kirche; er ist gegen Gott!«
In der That hatte sich Pierre, obwohl er sich vorgenommen, nicht zu antworten, nicht zu streiten, angesichts dieses wütenden Angriffes gegen den Mann, den er auf der Welt am meisten verehrte und liebte, eine protestirende Handbewegung entschlüpfen lassen. Uebrigens gab er nach und beugte sich abermals.
»Ich kann meinen Abscheu, ja, meinen Abscheu vor diesem ganzen hohlen Traum von einer neuen Religion nicht genügend ausdrücken,« fuhr Boccanera rauh fort. »Meinen Abscheu vor diesem Appell an die häßlichsten Leidenschaften, der die Armen gegen die Reichen aufhetzt, indem man ihnen Gott weiß was für eine Teilung, eine heutzutage unmögliche Gemeinschaft verspricht! Vor diesem niedrigen Umschmeicheln des gemeinen Volkes, indem man ihm, ohne es je thun zu können, eine Gleichheit und eine Gerechtigkeit verspricht, die von Gott allein kommt, die Gott allein am bezeichneten Tage durch seine Allmacht endlich wird herrschen lassen können! Vor dieser eigennützigen Nächstenliebe, die man gegen den Himmel selbst mißbraucht, um ihn der Unbilligkeit und Gleichgiltigkeit anzuklagen, vor dieser thränenseligen, erschlaffenden, fester und starker Herzen unwürdigen Nächstenliebe! Als ob das menschliche Leid nicht zum Heile notwendig wäre, als ob wir nicht, je mehr wir leiden, größer, reiner würden und dem unendlichen Glücke näher kämen!«
Er erhitzte sich; er war demütig und zugleich hochmütig. Was ihn so erbitterte, war seine Trauer, seine Herzenswunde; der Axthieb hatte ihn einen Augenblick niedergeworfen; aber nun erhob er sich herausfordernd gegen den Schmerz, störrisch an seiner stoischen Vorstellung von einem allmächtigen Gott festhaltend, der der Herr der Menschen war und seine Glückseligkeit nur seinen Erwählten vorbehielt.
Abermals machte er eine Anstrengung, um sich zu beruhigen, und fuhr sanfter fort:
»Nun, mein lieber Sohn, der Schafstall steht immer offen und Sie sind ja in ihn zurückgekehrt, da Sie bereuten. Sie können gar nicht glauben, wie glücklich ich darüber bin.«
Pierre bemühte sich nun seinerseits, Versöhnlichkeit zu zeigen, um dieses heftige, gekränkte Herz nicht noch mehr zu zerreißen.
»Eure Eminenz können sicher sein, daß ich trachten werde, kein einziges
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