Rom - Band III
dieser gütigen Worte zu vergessen, ebenso wenig wie ich den väterlichen Empfang Seiner Heiligkeit Leos XIII. vergessen werde.«
Aber diese Phrase schien Boccanera in seine frühere Aufregung zurückzuversetzen. Anfangs stieß er nur dumpfe, halb unterdrückte Worte hervor, als kämpfe er, um den jungen Priester nicht unmittelbar auszufragen.
»Ach ja, Sie haben Seine Heiligkeit gesehen, haben mit ihm gesprochen und er hat Ihnen wohl sicherlich gesagt – wie allen Fremden, die ihm ihre Aufwartung machen – daß er Versöhnung, Frieden will ... Ich, ich sehe Seine Heiligkeit nur bei den unvermeidlichen Gelegenheiten; es ist jetzt bereits mehr als ein Jahr her, seit ich nicht mehr zur Privataudienz zugelassen wurde.«
Dieser öffentliche Beweis von Ungnade, dieser heimliche Kampf, der gerade so wie zu Zeiten Pius' IX. zwischen dem heiligen Vater und dem Kardinalkämmerer herrschte, erfüllte den letzteren mit Bitterkeit. Er konnte sich nicht zurückhalten, zu sprechen, wobei er sich zweifellos sagte, daß er einen Vertrauten, einen sicheren Menschen vor sich habe, der außerdem am nächsten Tag abreiste.
»Friede, Versöhnung! Mit diesen schönen Worten, die so oft der wahren Weisheit und des wahren Mutes bar sind, kommt man weit... Die furchtbare Wahrheit besteht darin, daß die achtzehn Jahre der Zugeständnisse Leos XIII. alles in der Kirche erschüttert haben, und daß der Katholizismus, wenn er noch lange regiert, in Staub zerfallen wird wie ein Gebäude, dessen Säulen unterminirt wurden.«
Pierre, den das sehr interessirte, konnte sich nicht enthalten, Einwendungen zu erheben, um sich zu belehren.
»Aber hat er sich nicht sehr klug benommen, hat er nicht das Dogma geschützt, in eine unbezwingliche Festung untergebracht? Mit einem Wort, wenn er auch in vielen Punkten nachgegeben zu haben scheint, so geschah es immer nur der Form nach.«
»Ach ja, der Form nach!« fuhr der Kardinal mit wachsender Leidenschaft fort. »Er hat Ihnen wie allen anderen gesagt, daß er, wenn auch im Grunde unerschütterlich, der Form nach gern nachgebe. Ein beklagenswertes Wort, eine zweideutige Diplomatie, wenn es nicht einfach eine niedrige Heuchelei ist! Meine Seele empört sich gegen diesen Opportunismus, dieses Jesuitentum, das Listen gegen das Jahrhundert gebraucht, das nur dazu angethan ist, den Zweifel, die Verwirrung des ›rette sich wer kann‹, unter die Gläubigen zu schleudern! Das ist die erste Ursache unheilbarer Niederlagen, das ist eine Feigheit, die schlimmste Feigheit, das Wegwerfen der Waffen, damit man sich schneller zurückziehen kann, die Scham darüber, ganz selbst zu sein, die Maske, die in der Hoffnung acceptirt wird, die Welt zu betrügen, durch Verrat bei dem Feinde einzudringen und ihn zu vernichten! Nein, nein, die Form ist alles bei einer überlieferten, unwandelbaren Religion, die achtzehnhundert Jahre lang das Gesetz Gottes selbst gewesen, die es noch heute ist, bis ans Ende aller Zeiten bleiben wird!«
Er konnte nicht sitzen bleiben; er erhob sich und begann durch das enge Gemach zu schreiten, das er mit seiner hohen Gestalt auszufüllen schien. Und nun besprach, nun verdammte er heftig die ganze Regierung, die ganze Politik Leos XIII.
»Die Einheit, die famose Einheit, die er, was man ihm so zum großen Ruhm anrechnet, in der Kirche wieder herstellen will – sie ist nichts als der wütende, blinde Ehrgeiz eines Eroberers, der sein Reich erweitert, ohne sich zu fragen, ob die neuen, unterworfenen Völker sein altes, bisher so treues Volk nicht desorganisiren, verderben, mit allen Irrtümern anstecken werden. Wie, wenn die orientalischen Schismatiker, wenn die Schismatiker der anderen Länder beim Wiedereintritt in die katholische Kirche sie verhängnisvoll umwandeln, so daß sie sie töten, eine neue Kirche aus ihr machen? Es gibt bloß eine Weisheit: nur das sein, was man ist, aber es fest bleiben, ... Und ist nicht auch dieses angebliche Bündnis mit der Demokratie, diese Politik, die genügt, um den uralten Geist des Papsttums zu verdammen, eine Gefahr und zugleich eine Schande? Die Monarchie ist ein göttliches Recht; sie aufgeben heißt gegen Gott gehen, mit der Republik paktiren, von der ungeheuerlichen Lösung träumen, den Wahnwitz des Menschen zu benützen, um wieder eine größere Macht über sie zu erlangen. Jede Republik ist ein anarchischer Zustand, und darum bedeutet die Anerkennung der Republik, einzig und allein zu dem Zwecke, um sich mit dem Traum einer unmöglichen
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