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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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entsetzlicher Fall! Das Herz dreht sich mir im Leibe um; diese Zeitungen da wühlen mir mit den neuen Einzelheiten, die sie bringen, noch mehr die Seele auf.«
    Er deutete auf die Zeitungen, die auf dem Tische zerstreut lagen. Dann verscheuchte er mit einer Geberde die düstere Geschichte, die Gestalt der toten Benedetta, die ihn verfolgte.
    »Nun, und Sie?«
    »Ich reise heute abend ab; ich wollte Rom nicht verlassen, ohne Ihnen die tapferen Hände geschüttelt zu haben.«
    »Sie reisen ab? Und Ihr Buch?«
    »Mein Buch – Ich bin vom heiligen Vater empfangen worden – ich habe mich unterworfen, ich habe mein Werk verworfen.«
    Orlando sah ihn starr an. Ein kurzes Schweigen entstand, während dessen ihre Augen sich alles sagten, was zu sagen war. Weder der eine noch der andere fühlte die Notwendigkeit einer längeren Erklärung.
    »Sie haben recht gethan,« schloß der Greis einfach. »Ihr Buch war eine Chimäre.«
    »Ja, eine Chimäre, eine Kinderei, und ich habe es selbst verdammt, im Namen der Wahrheit und der Vernunft.«
    Auf den schmerzlichen Lippen des zerschmetterten Helden erschien wieder ein Lächeln.
    »Sie haben also alles gesehen und verstanden. Sie wissen jetzt alles?«
    »Ja, ich weiß alles und darum wollte ich nicht fort, ohne das gute, offenherzige Gespräch mit Ihnen geführt zu haben, das wir uns versprachen.«
    Orlando ward dadurch sehr erfreut. Aber plötzlich schien er sich des jungen Mannes zu entsinnen der die Thür geöffnet und dann bescheiden seinen Platz auf einem abseits beim Fenster stehenden Stuhl eingenommen hatte. Er war fast noch ein Kind, keine zwanzig Jahre alt, noch unbärtig, von einer blonden Schönheit, wie sie manchmal in Neapel blüht. Er hatte langes, gelocktes Haar, eine Lilienhaut, einen Rosenmund und vor allem träumerisch schmachtende Augen von unendlicher Sanftmut. Der Greis stellte ihn väterlich vor: Angiolo Mascara, der Enkel eines seiner alten Kriegskameraden, des epischen Mascara von den Tausend, der als Held, von hundert Wunden durchbohrt, gefallen war.
    »Ich ließ ihn herkommen, um ihn auszuschelten,« fuhr er lächelnd fort. »Stellen Sie sich vor, dieser Kerl mit dem Mädchengesicht läßt sich in die neuen Ideen ein! Er ist Anarchist, einer von den drei bis vier Dutzend Anarchisten, die wir in Italien haben. Im Grunde ist er ein braver kleiner Bursche, der nur noch seine Mutter hat und sie, dank der kleinen Stelle, die er besitzt, aushält; aber eines schönen Tages wird man ihn wegjagen. – Höre, mein Kind, Du mußt mir versprechen, vernünftig zu sein.«
    Da antwortete Angiolo, dessen abgenützte, reinliche Kleider in der That das anständige Elend verrieten, mit ernster, musikalischer Stimme:
    »Ich bin vernünftig; die anderen, alle anderen sind es nicht. Wenn alle Menschen vernünftig sein und Wahrheit und Gerechtigkeit wünschen werden, dann wird die Welt glücklich sein.«
    »O, glauben Sie nicht, daß er nachgeben wird!« rief Orlando. »Mein armes Kind, Gerechtigkeit, Wahrheit! Frage doch den Herrn Abbé, ob man je weiß, wo sie liegen. Nun, man muß Dir Zeit geben, zu leben, zu sehen und zu verstehen!«
    Und ohne sich mehr um ihn zu bekümmern, wandte er sich wieder zu Pierre. Aber Angiolo blieb mit sehr verständiger Miene in seinem Winkel sitzen, hielt die brennenden Augen auf die Sprechenden gerichtet und war ganz Ohr, verlor keines ihrer Worte.
    »Mein lieber Herr Froment, ich habe es Ihnen ja gesagt, daß Ihre Ideen sich ändern, und die Bekanntschaft mit Rom Sie auf richtigere, viel bessere Ansichten bringen würde, als alle schönen Reden, mit denen ich Sie zu überzeugen versucht hätte. So habe ich nie gezweifelt, daß Sie Ihr Buch vollständig freiwillig, wie einen unangenehmen Irrtum zurücknehmen würden, sobald Dinge und Menschen Sie über den Vatikan aufgeklärt haben würden. Aber wir wollen den Vatikan beiseite lassen, nicht wahr? Es läßt sich dort nichts machen, als ihn in seinem langsamen, unvermeidlichen Ruin zusammenbrechen zu lassen. Was mich noch interessirt, was mich noch begeistert, das ist das italienische Rom – unser Rom, das wir so liebevoll eroberten, so fieberhaft wiedererstehen ließen, das Sie als quantité négligeable behandelten. Nun aber haben Sie es gesehen und jetzt, da Sie es kennen, können wir darüber reden wie Leute, die einander verstehen.«
    Als intelligenter, vernünftiger Mann, der, von der Lähmung festgenagelt, fern vom Kampfe, ganze Tage Zeit zum Nachdenken und zur Unruhe hatte, gab er sofort

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