Rom - Band III
Problem muß von unten, vom Volk aus wieder angefaßt werden. Man muß Menschen schaffen.«
»Jawohl, so ist's!« rief Orlando. »Ich wiederhole es unaufhörlich: Italien muß geschaffen werden. Man könnte meinen, daß ein Ostwind den menschlichen Samen, den Samen der kräftigen und mächtigen Völker, anderwärts, fern von unserer alten Erde, getragen hat. Unser Volk ist nicht wie euer französisches Volk ein Behälter von Menschen und Geld, aus dem man mit vollen Händen schöpft. Diesen unerschöpflichen Behälter möchte ich aber bei uns entstehen sehen. Ja, von unten also muß man wirken! Ueberall müssen Schulen errichtet, die Unwissenheit verjagt, die Roheit und Faulheit mit Hilfe von Büchern bekämpft werden; die geistige und moralische Erziehung muß uns das arbeitende Volk geben, dessen wir bedürfen, wenn wir nicht aus dem Einverständnis der großen Nationen verschwinden wollen. Ich sage es nochmals: für wen haben wir denn gearbeitet, indem wir Rom zurücknahmen, indem wir ihm eine dritte Glanzzeit schaffen wollten, wenn nicht für die Demokratie von morgen? Und wie erklärlich ist es, daß alles zusammenbricht, daß nichts mehr kräftig sprossen will, da diese Demokratie vom Grund aus fehlt! ... Ja, ja, die Lösung des Problems liegt nur dort! Ein Volk, eine italienische Demokratie muß geschaffen werden!«
Pierre war unruhig verstummt; er wagte nicht zu sagen, daß eine Nation sich nicht leicht ändere, daß Italien das war, wozu der Boden, die Geschichte, die Rasse es gemacht hatten und daß es gefährlich sein könnte, wenn man es mit einemmal ganz verwandeln wollte. Besitzen nicht die Völker wie die einzelnen Kreaturen eine thätige Jugend, ein strahlendes Alter der Reife, ein mehr oder minder langsames, dem Tode zuführendes Greisenalter? Großer Gott, ein modernes, demokratisches Rom! Die modernen Roms heißen Paris, London, Chicago. Er begnügte sich damit, vorsichtig zu sagen:
»Aber glauben Sie nicht, daß ihr, in Erwartung dieser großen Erneuerungsarbeit durch das Volk, wohl daran thätet, vernünftig zu sein? Eure Finanzen sind in so schlechtem Zustand, ihr macht so große, soziale und volkswirtschaftliche Schwierigkeiten durch, daß ihr euch der Gefahr noch ärgerer Katastrophen aussetzt, ehe ihr Menschen und Geld habt. Ach, was für ein kluger Minister wäre das, wenn einer von euren Ministern von der Tribüne aus sagen würde: ›Nun wohl, unser Stolz hat sich geirrt, wir hatten unrecht, uns von heut auf morgen als große Nation zu improvisiren; dazu braucht es mehr Zeit, mehr Arbeit und Geduld. Wir willigen also ein, noch nichts zu sein als ein junges Volk, das sich sammelt, das in seinem Winkel arbeitet, um sich zu stärken, ohne bis auf weiteres eine vorherrschende Rolle spielen zu wollen; wir rüsten ab, wir schränken das Kriegsbudget, das Marinebudget, alle Budgets äußerlicher Prahlerei ein, um uns nur der innern Wohlfahrt, dem Unterricht, der körperlichen und sittlichen Erziehung des großen Volkes zu weihen, das wir – wir schwören es – in fünfzig Jahren sein werden.‹ Bremsen, ja, bremsen! Darin liegt eure Rettung!«
Orlando hatte ihm zugehört; nach und nach war er wieder düster geworden und in sein ängstliches Sinnen zurückgefallen. Er machte eine matte, unbestimmte Geberde und sagte halblaut:
»Nein, nein, ein Minister, der solche Sachen sagen würde, würde ausgepfiffen werden. Das wäre ein zu hartes Eingeständnis, das man von einem Volke nicht verlangen kann. Die Herzen aller würden von Ekel erfüllt werden, die Brust zersprengen. Und dann, wäre es vielleicht nicht noch gefährlicher, wenn man alles, was schon gethan wurde, plötzlich zusammenbrechen ließe? Wie viele fehlgeschlagene Hoffnungen, wie viele Ruinen, wie viele unnütz verschwendete Materialien gäbe es da! Nein, wir können uns nur noch durch Geduld und Mut retten, indem wir vorwärts, immer vorwärts gehen! Wir sind ein sehr junges Volk; wir haben die Einheit, zu deren Eroberung andere Nationen zweihundert Jahre gebraucht haben, in fünfzig Jahren schaffen wollen. Nun denn, diese Uebereilung muß bezahlt werden, wir müssen warten, bis die Ernte reift und unsere Scheuern füllt.«
Mit einer abermaligen, stärkeren, weiteren Geberde beharrte er steif auf seiner Hoffnung.
»Sie wissen, ich bin immer gegen das Bündnis mit Deutschland gewesen. Ich habe es vorausgesagt, es hat uns zu Grunde gerichtet. Wir waren noch nicht groß genug, um gemeinschaftlich mit einer so reichen und mächtigen
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