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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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ihre Wirkung zu steigern vermag, ähnlich wie ein guter Firnis die Farben eines Ölbildes vertieft. Er musste bei Frauen große Erfolge verbuchen. Ich beobachtete, wie die Kellnerin ihm immer wieder herausfordernde Blicke zuwarf, die er jedoch nicht zu beachten schien. Er wurde indessen offenbar von dem gehaltreichen Essen und dem Wein zu rhetorischen Gratwanderungen animiert, die er ganz offensichtlich genoss wie jemand, der die Kunst versteht, sich beim Reden selbst aufmerksam zuzuhören.
    »Wissen Sie, die Alpen zu überqueren ist mehr als die Seite einer Wasserscheide oder einer Wetterscheide wechseln. Es bedeutet, das innere Hemd zu tauschen. Das Büßerhemd gegen die Robe. Im Norden geht es um Wahrheit, um diesen fürchterlichen, protestantischen Höllenbegriff, mit dem sich die Einwohner des Nordens so gerne geißeln. Ob Philosophen wie Kant, ob Theologen wie Luther, ob Komponisten wie Bach, alle haben sie sich die Dornenkrone der Wahrheit aufgesetzt und nicht den Borsalino des guten Geschmacks. Auf der anderen Seite hingegen, jenseits des Brenners, gibt es die Wahrheit nicht. Es gab sie nie, es sei denn als Qualität des Sinnengenusses. Hier herrschen statt der Wahrheit und dem Streben nach ihr die Inszenierung und der Schein. Macht, Intrige, Täuschung sind unsere wahre Trinität. Besonders die Kirche wurde hier zum Vorbild. Warum ist Italien das Land der Designer? Weil Design Lüge ist, Fassade, Eleganz. Und dennoch, wir wissen, dass der Geist ursprünglich ein Sonnenkind war. Arabien, Ägypten, Griechenland, Italien, hier wurden die Philosophie und die Kunst geboren, hier entstand die Kultur, auf die das Abendland so stolz ist. Aber dies war ein Geist, der ohne das Absolute auskam, der nicht von den Skrupeln langer Winternächte verdunkelt wurde.«
    »Denken Sie nicht ein wenig zu kritisch über ihr Vaterland?«, warf ich ein, während mein käsegetränkter Weißbrotwürfel von der Gabel fiel und im Fondue verschwand. »Die Kultur Italiens ist doch über alle Zweifel erhaben!«
    »Ach, was haben wir schon kulturell zu bieten! Nur große Maler, weil sie alle Lügner der Farbe sind, alle Inszenatoren von Licht und Schatten. Kaum große Musiker hingegen, weil die Musik schon selber so schrecklich abstrakt ist, zur Kühle neigt, zur Konstruktion, und deshalb ist sie eine Obsession des Nordens. Im Süden gibt es auch keine großen Philosophen wie Hegel, Kant, Marx. Keine genialen Seelenforscher wie Freud!«
    Er lächelte in sich hinein und ließ seine Brotangel Käsefäden ziehen. »Apropos Psychologie: Wissen Sie, was ich glaube? Ihre Freundin ist überhaupt nicht verschwunden! Das ist sie nur aus Ihrer subjektiven Sicht. Sie ist mit einem anderen Mann auf und davon. Und der würde sagen, sie ist aufgetaucht!«
    Tusa begann, von den körperlichen Vorzügen meiner Freundin zu schwärmen, so als habe er selbst intimste Kenntnis von ihnen. Mir schien, dass mein Gegenüber bereits viel betrunkener war als ich, ohne dass ihm dies äußerlich anzumerken war. Das Fondue war sehr stark. Man schmeckte deutlich das Kirschwasser durch. Außerdem genehmigten wir uns zwischendurch mehrere Schnäpse. Die Wendung des Gesprächs war mir unangenehm.
    »Fräulein Mackay gehört zu den seltenen Prachtexemplaren von Frauen, die immer irgendwie nackt sind, selbst wenn sie einen dicken Pelzmantel tragen«, sagte Tusa. Er spießte zwei Brotwürfel auf und drehte sie in der Käsemasse. »Wissen Sie, womit die Hindus den Schoß der Frau vergleichen? Mit einer Schale wie dieser. Das Yoni. Der Linga ist der Schwanz. Er steht aufrecht im Yoni.« Tusa stellte seinen Spieß mit dem Brotstück in die zähe Käsemasse. Er fiel nicht um. Er lachte und schob sich die Käsemasse in den wohlgeformten Mund. Er war mir widerlich.
    Ich rief den Ober und zahlte. Als ich ging, rief Tusa mir nach: »Grüßen Sie Fräulein Mackay von mir, wenn sie sie wieder sehen. Sie ist wirklich eine reizende Dame.«
    Die Tür hinter mir fiel zu. Ich rannte durch die kalte Dunkelheit nach Hause. Das Gespräch mit Tusa hatte nichts Konkretes erbracht. Er hatte es verstanden, die Unterhaltung so zu lenken, dass es mir nicht gelungen war, ihm konkretere Fragen zu stellen, ihm irgendeinen interessanten Hinweis zu entlocken. Dass Dale mit einem anderen Mann unterwegs war, hatte schon die Berner Polizei behauptet. Und dennoch, irgendein merkwürdiges Gefühl hatte das Treffen bei mir hinterlassen. Vielleicht war nicht das wichtig, was er auf meine Fragen geantwortet

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