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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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das Geschirr in die Küche brachte, füllte der Gastgeber sein und mein Glas. Dann stießen wir miteinander an. »Auf die Liebe der Frauen«, sagte Gala. »Sie sind es, die uns Männern den inneren Halt zu geben vermögen.«
    Franziska Gala setzte sich wieder zu uns. Sie lächelte mich an. Ihre Wangen waren gerötet, was ihr sehr gut stand. »Sie vermissen sicher Ihre Heimat in diesen Tagen«, sagte sie. »Wir möchten Sie deshalb zu einem Apero einladen.«
    »Einem was?«
    »Einem zwanglosen Umtrunk mit Freunden«, sagte Franz Gala. »Ich würde den zweiten Weihnachtstag vorschlagen. Ist es dir recht, Franziska?«
    »Natürlich. Ich werde gleich überlegen, wen wir einladen, damit sich Doktor Hieronymus nicht zu sehr langweilt.«
    »Vergiss auf keinen Fall Bernhard. Er bringt immer so viel Stimmung in eine Gesellschaft.«
    Gala schenkte noch einmal die Pflümligläser voll. Diesmal trank auch seine Frau. Als ich wenig später nach Hause ging, schwankte ich wie jemand, dem es nur allzu deutlich an innerem Halt fehlt.

8. Marcello Tusa

    Um Punkt zwanzig Uhr war ich in den Brückenstuben. Der große Raum war dezent weihnachtlich dekoriert. Aus kleinen Lautsprechern an der Decke drang leise Weihnachtsmusik. Sie war international gehalten. »White Christmas« neben »Stille Nacht«. Marcello Tusa erschien kurze Zeit später. Er kam direkt an meinen Tisch und stellte sich vor. Seine Stimme war sanft, eine akustische Widerlegung des Vorurteils, dass Neapolitaner besonders laut sind. Seine Augen blickten ruhig. Sie waren vom gleichen warmen Braun wie seine dichten Haare. Tusa setzte sich mir gegenüber und begann die Speisekarte zu lesen. Immer wieder schüttelte er dabei das Haupt. »Diese Schwyzer wahren auch in ihrer Küche strenge Neutralität«, klagte er in einem Englisch, das, von seinem Akzent moduliert, wie Musik klang. »Ein wenig Italien, ein wenig Frankreich, ein wenig Österreich und ein wenig Deutschland. Dabei kommt leider nicht mehr heraus als ein Kompromiss aus sämtlichen Untugenden der verschiedenen Küchen. Vielleicht sollten wir uns ein Käsefondue teilen. Diese brutale Mischung aus heißem Käse, Wein und Schnaps verrät noch am ehesten das Eingeständnis, dass die hiesige Küche nie eine eigene Geschmackskunst entwickelt hat, sondern immer nur zur körperlichen Kräftigung von Bergbauern und Soldaten bestimmt war, die die Alpenpässe verteidigen mussten. Wussten Sie übrigens, Signor Hieronymus, dass die halbe Schweiz von unterirdischen Verteidigungsanlagen durchzogen ist?« Er blickte mich an aus seinen sanften Rehaugen, und ich stellte fest, dass meine sämtlichen beruflich erworbenen Fähigkeiten, die Psyche eines Menschen zu durchschauen, an dieser glatten Fassade aus Larmoyanz und Noblesse zum Scheitern verurteilt waren.
    »Meine Freundin, wie soll ich sagen, meine zukünftige Frau, hat bei Ihnen einen Sprachkurs belegt, Herr Tusa. Sie hat ihn abgebrochen. Sie ist einfach von der Bildfläche verschwunden. Niemand weiß, wo sie sich aufhält. Eine sehr merkwürdige Sache, denn wir haben sonst regelmäßig miteinander telefoniert.«
    »Oh ja, Signora Dale. Ich bedaure sehr, dass sie den Kurs abgebrochen hat. Ich erinnere mich genau an sie. Sie war bei der Vorbesprechung. Wirklich eine außerordentlich reizende Person. Ich hätte gern mit ihr zusammengearbeitet. Sie wäre sicher die Beste im Kurs geworden. Eine fabelhafte Sprachbegabung, das habe ich gleich gemerkt. Ihr wunderbarer, schottischer Akzent brachte etwas Raues, wie soll ich sagen, Tiefgründiges in meine Muttersprache, das ihr sonst ein wenig fehlt.«
    Das Käsefondue kam. Gelblich weiße Blasen brodelten in dem Topf, genährt von den blauen Flammen des Rechaud. Wir spießten Brotwürfel auf, tauchten sie in die Masse und tranken einen Schweizer Wein dazu, dessen klarer Geschmack Tusa ein Kopfschütteln abnötigte und die Bemerkung, dass sich auch im Weinbau die Schweizer Sucht nach Neutralität und Unverbindlichkeit austobe. Ich versuchte, während wir uns über Sprachkurse, Landessitten und Schweizer Eigenheiten unterhielten, wieder und wieder vergeblich im Gesicht dieses Menschen zu lesen. Mehr und mehr wurde es für mich zu einer Maske, hinter der es möglicherweise noch andere Masken gab, Schicht für Schicht, wie bei ägyptischen Mumien. Tusa war ein schöner Mann mit sanften Augen, einer ruhigen Mimik, mit dem nötigen Schuss Intellektualität, gerade genug, um seiner körperlichen Ausstrahlung jene geistige Glasur zu geben, die

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